Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Herman«, erzählte Fygen. »Wir haben ihn schnell notgetauft, weil er so dünn war, und stell dir vor, ich bin seine Taufpatin. Aber nach alldem hat Sewis am Ende doch Glück gehabt: Sie kann bei den van Bensbergs als Schankmädchen bleiben«, schloss Fygen ihre Schilderung des vergangenen Abends.
Am nächsten Tag wurde Katryn zu ihrem Vater gerufen, der ein klares Urteil fällte: Er untersagte Katryn, Mertyn zu treffen, und künftig habe sie sonntags auf dem direkten Weg von der Kirche nach Hause zu kommen und dort zu bleiben, bis ihr Vater sie persönlich zu Mettel zurückgeleiten würde.
Ein paar Tage später riskierte Fygen erneut Mettels Zorn, indem sie einen Botengang ein wenig ausdehnte und Katryns Vater in seinem Kontor aufsuchte. Erstaunt blickte Heinrich Starkenberg von seinen Büchern auf, als Fygen sofort mit ihrem Anliegen herausplatzte. »Katryn hat nichts Unrechtes getan«, verteidigte sie leidenschaftlich die Freundin. »Ihr dürft ihr nicht böse sein. Sie ist todunglücklich.«
»Von dir hatte ich anderes erwartet, nachdem du eine so herzliche Aufnahme in unserem Haus erfahren hast«, antwortete er streng.
Fygen war beschämt, trotzdem wich sie nicht von ihrer Meinung ab. »Sie liebt ihn«, antwortete sie schlicht. »Ist er denn ein so schlechter Mensch?«
»Er ist nicht standesgemäß«, beschied ihr Heinrich Starkenberg knapp.
»Nun, er ist seit Jahren im Englandhandel und hat sicher eine Menge Erfahrung. Wenn er kölnischer Bürger würde und mit ein wenig Kapital sein eigenes Kontor eröffnen könnte …«
»Du verschwendest deine Zeit«, schnitt Katryns Vater ihr das Wort ab. »Und meine dazu.«
16. Kapitel
A m Vorabend des Johannistages endete die Arbeit der Mädchen früher als gewohnt. Grete hatte auf dem Heumarkt große Büschel Johanniskraut gekauft, das die Bäuerinnen aus den umliegenden Dörfern am Morgen in großen Mengen frisch in die Stadt gebracht hatten. Gut gelaunt saßen die Mädchen am Küchentisch und wanden geschickt Kränze aus den Kräutern, mit denen sie später ihr Haar schmücken würden. Doch zunächst galt es, ein Büschel Johanniskraut zu verbrennen, um die bösen Geister zu bannen. Denn deren Macht würde nach der Mittsommernacht in dem Maße zunehmen, wie die Tage kürzer würden, wenn man nicht entsprechend vorsorgte. Und gegen die Dämonen half nur die reinigende Kraft des Feuers und des Wassers. Grete pflückte sich ein Büschel Johanniskraut aus dem Haufen auf dem Tisch und entzündete es feierlich an einer Kerzenflamme. Die Mädchen hatten sich um sie geschart und schauten gespannt zu, wie das Kraut weich wurde und sich seine Stengel bogen. Ein dünner Rauchfaden stieg auf, und es roch etwas merkwürdig. Der Geruch kribbelt Fygen in der Nase, und sie musste niesen. Grete warf ihr einen missbilligenden Blick zu, doch dann war das Kraut trocken und ging in Flammen auf. Schnell warf Grete es in den Herd, um sich nicht die Finger zu verbrennen. Als weitere Vorkehrung musste nun noch ein Topf, der sogenannte Johannispott, mit Lichtern besteckt und entzündet werden. Auch diese Handlung nahm Grete mit der notwendigen Ernsthaftigkeit vor und stellte den Topf ans Fenster zur Gasse. Somit waren alle Vorbereitungen für die Sonnwendfeier abgeschlossen.
Kurz vor Sonnenuntergang war es dann so weit. Die Mädchen schmückten sich das Haupt mit ihren Johanniskränzen und machten sich auf den Weg. Vor allem in Hylgens rotem Haar wirkte der grüne Kranz besonders hübsch, fand Fygen, als sie in die Dämmerung hinaustraten. Aus den umliegenden Häusern kamen ebenfalls Frauen und Mädchen hervor, viele ebenso mit Kränzen und angesteckten Büscheln aus Kräutern geschmückt. Es wurden mehr und mehr Frauen, die gemeinsam mit ihnen über den Heumarkt strömten, und alle hatten dasselbe Ziel. Während sie feierlichen Schrittes die Salzgasse hinabgingen in Richtung des Rheinufers, sangen sie Lieder, sagten Verse auf oder sprachen halblaute Gebete. Längst hatte Fygen in der Menge Katryn, Hylgen und Grete verloren, doch zwischen all den singenden Frauen fühlte sie sich sicher und geborgen. Die Sonne begann im Westen zu sinken, und die Rheinmauer mit ihren Wachtürmen warf lange Schatten auf das befestigte Ufer. Der Strom führte nicht übermäßig viel Wasser, und so stieg Fygen wie ihre Genossinnen in das sandige Flussbett hinab. Direkt neben ihr sprach eine junge Magd inbrünstig Formeln, deren Worte Fygen nicht verstand. Ein letztes Mal glühte die Sonne in den Haaren
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