Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
der Mädchen auf und umgab sie wie ein Heiligenschein. Dann plötzlich, als hätte jemand ein geheimes Zeichen gegeben, knieten die Frauen nieder und schlugen bedächtig die Ärmel ihrer Kleider zurück. Fygen tat es ihnen gleich und tauchte Hände und Arme in die Flut, damit das Wasser alles Schlechte mit sich nehme. Das Wasser war noch recht frisch, und Fygen fröstelte, als sie das kalte Nass auf der Haut spürte. Doch die Wellen des Rheins würden so alles Unglück, das für das kommende Jahr drohte, mit sich forttragen. Und Unglück konnte schließlich keiner gebrauchen, sie zuallerletzt.
Danach ging die Sonne sehr schnell unter, und die Frauen kehrten zurück in die Stadt, denn es war an der Zeit zu feiern. Das ganze Jahr über versanken des Nachts die Gassen in Dunkelheit, doch heute warfen überall Fackeln ihr freundliches, flackerndes Licht auf die Feiernden. Die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein, und während sich die Älteren an Tischen und Bänken, die sie ins Freie geräumt hatten, niederließen, um zu speisen, strömte das junge Volk zum Domhof, wo die Sonnwendfeuer entzündet wurden. Hoch loderten die Flammen auf, als die Scheite in Brand gesetzt wurden, und warfen bleckendes Licht über den Platz und auf die hohen Mauern, die ihn umgaben. Musiker stimmten ihre Instrumente, und bald formierte sich der erste Reigen zum Tanz um die Feuer. Hier traf Fygen auch Katryn, Hylgen und Grete wieder.
»Da bist du ja«, begrüßte die Base sie schroff. »Ich dachte schon, du hättest dich wieder einmal aus dem Staub gemacht.« Und als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie großspurig fort: »Ihr könnt euch bei mir bedanken. Ich habe Mutter gebeten, dass wir zwei Stunden bleiben dürfen. Sie wollte uns sofort zu Bett schicken.«
Katryn hörte ihr gar nicht zu. Ihr Blick schweifte unstet umher, als wäre sie auf der Suche nach etwas. Oder eher nach jemandem, stellte Fygen fest, als sie Katryns Blick gefolgt war. Denn auf der gegenüberliegenden Seite des Domhofes stand eine Gruppe junger Männer, in deren Mitte sie auch den dunklen Haarschopf und die markanten Züge von Mertyn Ime Hofe erkannte. Fygen merkte, wie die Freundin nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Sie überlegte gerade, wie sie Grete am geschicktesten ablenken konnte, so dass Katryn Gelegenheit fand, ihren Mertyn zu sprechen, als ihr der Zauber der Johannisnacht auch schon zu Hilfe kam, und zwar in Gestalt ihres Freundes Rudolf, der auf sie zuschlenderte. Rasch nahm sie ihn ein Stück beiseite. »Rudolf, dich schickt der Himmel. Du musst mir helfen.«
»Muss ich das nicht immer, wenn wir uns sehen?«, witzelte er gut gelaunt, und sie gab ihm einen freundschaftlichen Stups in die Seite.
»Es ist wichtig. Kannst du Grete für eine Weile ablenken?«
»Grete? Igitt, nein!«
»Bitte, Rudolf. Du musst es nicht für mich tun, sondern für Katryn. Ich springe auch mit dir über das Feuer, ist das ein Angebot?«
»Aber nur, weil es für Katryn ist. Damit du das weißt!« Galant trat er auf Fygens Base zu und bedachte sie mit seinem unwiderstehlichen Lächeln und einem herzerweichenden Blick aus seinen braunen Augen.
Kurz darauf sah Fygen, wie die beiden sich in den Reigen der Tänzer fügten. Sie griff Katryns Arm und steuerte sie zielstrebig durch die Menge, direkt auf die Gruppe der jungen Männer zu, die Becher in den Händen hielten und damit auf Mertyns Wohl anzustoßen schienen. Einer seiner Freunde schlug ihm jovial auf die Schulter, und Mertyn schenkte den Freunden aus einem Krug nach. Als die Mädchen auf ihn zutraten, hob er erfreut den Kopf und strahlte sie an. »Ihr kommt gerade recht. Hier, nehmt einen Becher und feiert mit uns.« Seine dunklen Augen funkelten Katryn glücklich an. »Es gibt Neuigkeiten. Ich bin seit heute kölnischer Bürger!« Ausgelassen fasste er Katryn um die Taille und schwenkte sie herum. Fygen konnte deutlich erkennen, wie sich seine Freude auf Katryns Gesicht widerspiegelte.
Mertyns Freunde beeilten sich, den Mädchen ebenfalls zwei Becher zu reichen, und erneut wurde auf das Wohl des Neubürgers getrunken. Dann nötigten sie ihn zu erzählen.
»Da gibt es nicht viel zu berichten. Es ist eigentlich keine große Sache. Ich bin heute Morgen in aller Frühe zum Rathaus gegangen. Mein Brotgeber, der Heinrich Overbach, hat mich begleitet, um zu bezeugen, dass ich schon seit vielen Jahren in der Stadt wohne, weit mehr als die drei geforderten Jahre. Dann verlangte der städtische Schreiber ein
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