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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Kummer bereitet hatte, war, dass sie bisher noch keine Zeit gefunden hatte, ihre Werkprobe, das Zeugnis ihrer Fähigkeiten als Seidweberin, auch nur zu beginnen. Und Mettel hatte ihr bisher weder das Material zugestanden noch ihr gestattet, ihr Werkstück während der Arbeitszeit anzufertigen. Außerdem wurden ja alle drei Webstühle jederzeit für die Arbeit benötigt.
    Heute nun ergab sich die ideale Gelegenheit. Gestern Abend war ein Ballen Seide fertig geworden, und sie hatten ihn noch vor dem Zubettgehen vom Rahmen geschnitten, so dass ein Webstuhl den ganzen Sonntag über frei war. Widerwillig hatte Mettel, die wusste, dass ihr nichts anderes übrigblieb, Katryn alte, unansehnliche Reste bereits angegrauten Seidengarns zur Verfügung gestellt. Doch Katryn hatte mit etwas Derartigem gerechnet und rechtzeitig ihre Mutter um Hilfe gebeten, die ihr selbstverständlich brauchbares Garn beschafft hatte.
    Schon früh waren die Mädchen auf den Beinen und begannen gut gelaunt, die Kettfäden aufzuscheren. Das Werkstück musste nicht die übliche Breite und vor allem nicht die Länge eines Stoffballens besitzen. Vielmehr ging es darum zu beweisen, dass man ein fehlerfreies Stück Stoff von guter Qualität herzustellen vermochte, mit geraden Rändern und sauberen Abschlüssen. Gerade hatten Katryn und Fygen den Warenbaum in den Rahmen gesetzt und bereiteten die Spulen mit den Schussfäden vor, als Mettel unerwartet die Werkstatt betrat. »Hylgen kommt nicht zurück«, erklärte sie den Mädchen. »Sie geht in den Annenkonvent und wird Begine.« Dann wies sie mit spitzem Finger auf Fygen. »Du packst jetzt Hylgens Sachen zusammen und bringst sie ihr.«
    »Aber ich wollte Katryn helfen …«
    »Nichts da. Du bringst auf der Stelle die Sachen zu Hylgen. Der Konvent ist in der Breiten Straße, ganz in der Nähe des Minoritenklosters.«
    Hilflos schaute Fygen ihre Freundin an, doch die winkte ab. »Das, wofür ich deine Hilfe dringend brauchte, haben wir geschafft. Jetzt muss ich nur noch weben, dabei kannst du mir ohnehin nicht helfen. Ich habe noch den ganzen Tag dafür. Lass dir Zeit, Hylgen freut sich sicher, dich zu sehen.«
    Rasch waren Hylgens wenige Habseligkeiten zusammengerollt, und Fygen machte sich auf den Weg. Sie überquerte den Hühnermarkt und bog in die Obermarspforten ein. Hier hatten sich die Wohlhabenden niedergelassen, hier standen die schönsten Häuser der Stadt. Fygen ging die Brückenstraße entlang und bog dann hinter St. Columba rechts ab. Bald darauf sah sie das mächtige Gebäude des Minoritenklosters vor sich liegen, und sie schwenkte links in die Breite Straße. Ein Stück weit lief sie die Straße entlang, ohne jedoch das Klostergebäude entdecken zu können. Weit und breit gab es hier nur normale Wohnhäuser. Große Gebäude zwar, aber nichts ähnelte im Entferntesten einem Kloster. Schließlich bat sie eine Frau um Hilfe, die mit einem Eimer Schmutzwasser auf die Straße hinaustrat. Freundlich deutete diese auf eines der unscheinbaren Wohnhäuser gleich gegenüber. Verwundert überquerte Fygen die Straße und konnte den Worten, die über der breiten Eingangstür in den Sturz gemeißelt waren, entnehmen, dass dies in der Tat der Konvent zur heiligen Anna war, gestiftet von Katharina Seberti de Poylheim im Jahre 1341.
    Fygen betätigte den schweren Klopfer, und nach einer Weile öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Durch den Spalt konnte sie das gütige Gesicht einer Frau in mittleren Jahren erkennen, die sie liebenswürdig nach ihrem Begehr fragte, und Fygen erklärte kurz den Grund ihres Besuches.
    »Das ist aber nett«, antwortete die Frau herzlich und öffnete ihr die Tür. Sie trug die Tracht der Beginen, den nachtschwarzen Rock und darüber einen weiten Umhang aus gleichem Tuch, der auch den Kopf bedeckte. »Hylgen«, rief sie in das Dunkel des Flures hinein, »Besuch für dich.« Dann führte sie Fygen in eine große Stube, in der einige Frauen unterschiedlichen Alters beisammensaßen, eine jede mit ihrer Handarbeit beschäftigt. Die meisten drehten eine Spindel in den Händen, andere saßen über feiner Goldstickerei, und aus einem der hinteren Räume des Hauses erklang das vertraute Klappern von Webstühlen. Auch diese Frauen trugen dunkle, weit geschnittene Oberteile zu schwarzen Röcken.
    Hylgen betrat den Raum, und fast hätte Fygen sie nicht erkannt. Der weiße Schleier unter dem rabenschwarzen Wolltuch, das sie über den Kopf gelegt hatte, befreite sie nunmehr endgültig und

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