Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Die Taftbindung ist die haltbarste Bindung. Die rechte und linke Seite des Stoffes sehen gleich aus.« Aufmerksam folgten Fygen und Hylgen ihren Erklärungen.
»Aber bei manch anderen Geweben überspringen die Kett- oder Schussfäden mehrere kreuzende Fäden«, fuhr Katryn fort. »Solch einen Fadenübersprung nennen wir Flottierung . Er darf nicht zu lang sein, damit die Bindung insgesamt stabil bleibt. Bei der Köperbindung, die man zum Beispiel in der Barchentweberei verwendet, geht ein Schussfaden über zwei Kettfäden. In der nächsten Reihe wird er dann um einen Faden versetzt. Eine immer wiederkehrende Reihenfolge von Fadenübersprüngen, die einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgt, ergibt ein Muster im Stoff. Beim Köper sind es schräge Linien, die Köpergrate. Für das Weben des Köpers bedeutet es, dass jeder andersbindende Kettfaden gesondert gehoben oder gesenkt werden muss und somit einen neuen Schaft erfordert. Wir brauchen also mindestens einen Schaft mehr als die zwei, mit denen wir den Seidentaft weben.« Katryn machte eine Pause und schaute den Mädchen prüfend ins Gesicht, um herauszufinden, ob sie ihre Belehrungen verstanden hatten. Bei Hylgen war sie da nicht immer so sicher, aber Fygen nickte eifrig, und Katryn fuhr fort: »Natürlich kann man sich beim Weben einer Köperbindung leichter vertun, als bei …«
»Hoher Besuch«, unterbrach Fygen sie, und die Mädchen liefen auseinander, als ihre Lehrherrin die Werkstatt betrat. Wenn die Mädchen nun ein riesiges Donnerwetter erwartet hatten, wurden sie angenehm enttäuscht. Mettel begnügte sich mit einem Knurren und funkelte sie nur kurz an. Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange an, denn Mettel kam sogleich zur Sache und wandte sich direkt an Hylgen: »Deine Mutter ist krank, sie macht es wohl nicht mehr lange. Ausnahmsweise erlaube ich dir, nach Hause zu gehen, obwohl hier viel Arbeit auf dich wartet.«
17. Kapitel
M ettel war mit ihren Geschäften höchst unzufrieden. Da stand sie sich nun den ganzen Tag im Seidenkaufhaus die Beine in den Bauch, um ihre Stoffe zu verkaufen, doch da sie kaum Ware anzubieten hatte, war es ein müßiges Geschäft und lohnte kaum die Zeit. Ihre Werkstatt stellte einfach nicht genug Stoffe her, weil ein Mädchen nach dem anderen ausfiel. Zuerst hatte sie diese kleine Hure Sewis rausschmeißen müssen, dann hatte Grete dieses tragische Unglück ereilt, das sie noch immer daran hinderte zu arbeiten, und nun war auch noch Hylgen, diese fromme Betschwester, fort, und das bereits seit Tagen. Mettel wusste nicht, wann sie wiederkommen würde, aber sie wusste, dass das nicht das Ende vom Lied war. Es würde noch schlimmer kommen, denn in ein paar Wochen wären für Katryn die vier Jahre ihrer Lehrzeit zu Ende, und sie würde ihre abschließende Prüfung vor dem Seidamt machen. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde sie Mettel dann ebenfalls verlassen. Die Starkenbergs waren reich und konnten ihrer Tochter spielend eine eigene Werkstatt einrichten. Und selbst wenn sie Katryn überreden könnte zu bleiben, sie würde ihr einen angemessenen Lohn zahlen müssen, so sah es die Zunftordnung vor. Doch Katryn zu verlieren wäre eine wirkliche Katastrophe, denn sie war, das gestand Mettel sich ein, die Stütze der Werkstatt, viel mehr noch als Grete, ihre eigene Tochter, es war. Es schien Mettel, als läge ein Fluch auf ihren Mädchen. Rasch bekreuzigte sie sich aus Schreck vor den eigenen Gedanken. Irgendwer wollte ihr Böses. Vielleicht neidete ihr jemand den Erfolg? Der ganze Ärger hatte angefangen, als sie Fygen, dieses aufsässige, freche Ding, in ihr Haus aufgenommen hatte. Mettel seufzte tief auf. Gutherzigkeit hatte noch keinem je wirklichen Nutzen eingetragen. Das hatte sie wieder einmal erkennen müssen. Nun, auf kurz oder lang würde sie nicht darum herumkommen, nach einem neuen Lehrmädchen Ausschau zu halten, auch wenn das hieße, einen weiteren, nutzlosen Esser durchfüttern zu müssen. Für die Sache mit Katryns Prüfung würde sich schon eine befriedigende Lösung finden. Ein kaltes Lächeln schlich um ihren Mund, als ihr eine vage Vorstellung davon kam, wie diese Lösung aussehen konnte.
Fygen und Katryn verbrachten den Sonntag in der Werkstatt, denn der Tag von Katryns Prüfung vor dem Seidamt rückte immer näher. Um die Fragen zur Handhabung des Webens und zur Kunde des verwendeten Materials machte Katryn sich keine Sorgen, sie war sich sicher, dass sie darüber bestens Bescheid wusste. Doch was ihr
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