Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
diese ihrer Lehrherrin recht machen. Sie schuftete von früh bis spät, und für jede kleinste Nachlässigkeit schlug Mettel sie unbarmherzig.
Es hatte auch nichts geändert, dass vor ein paar Tagen zwei neue Lehrmädchen ins Haus gekommen waren, Zwillinge, schmale, blasse Mädchen mit großen verängstigten Augen. Sie waren furchtbar schüchtern und taten Fygen richtiggehend leid, so unbeholfen wie sie waren. Vor Mettel hatten sie großen Respekt und brachen sofort in Tränen aus, wenn die Lehrherrin nur das Wort an sie richtete. Die beiden kamen aus Bruwiler, einem kleinen Dorf westlich der Stadt. Fygen vermutete, dass es gute Gründe dafür gab, dass Mettel sich ihre Lehrtöchter von außerhalb suchte, während andere Seidmacherinnen die ihren unter den Töchtern der gehobenen Bürgerfamilien der Stadt wählen konnten.
Erschöpft rieb sich Fygen die Augen. Noch einen kleinen Moment würde sie ausruhen, bevor sie den Putzlappen auswaschen und den Eimer fortbringen würde. Nur einen kleinen Moment …
Fygen schreckte hoch. Jemand hatte ihr kraftvoll die Hand auf den Mund gelegt, hielt sie fest und hinderte sie am Schreien. Fygen bäumte sich auf. Wer immer der Angreifer war, er hatte sie im Schlaf überrascht.
»Psst«, flüsterte eine Stimme. »Keine Angst, ich bin es, Katryn.«
Fygen erkannte die Stimme. Verblüfft hörte sie auf, sich zu wehren, und die Freundin gab sie frei.
»Katryn? Was, um Himmels willen, machst du hier?« Das Herdfeuer war heruntergebrannt, und im spärlichen Licht der glimmenden Kohlen konnte Fygen Katryns Gesicht nicht genau erkennen, doch sie spürte deutlich die Aufregung der Freundin. Hastig sprang sie auf und griff nach dem Schürhaken, um das Feuer ein wenig anzufachen. Katryns Gesicht leuchtete vor Freude, sie wiederzusehen. Oder war es etwas anderes, das sie zum Strahlen brachte? Und warum trug sie ihr kostbares, cremefarbenes Seidenkleid, das eleganteste, das sie besaß? Kam sie von einer Festivität? Fygen schüttelte verwirrt den Kopf. »Nun sag schon«, drängt sie die Freundin. »Was ist passiert?«
»Nichts ist passiert. Noch nicht«, antwortete Katryn, und ihre Augen funkelten. »Aber es wird bald etwas geschehen«, fügte sie geheimnisvoll hinzu. Dann fasste sie Fygens Hände und platzte heraus: »Wir werden heiraten!« Erwartungsvoll blickte sie die Freundin an. »Was sagst du nun?«
»Wer wird heiraten?«
»Sei nicht so begriffsstutzig. Mertyn und ich werden heiraten!«
»Oh, wie großartig. Dann hat dein Vater zugestimmt? Wann wollt ihr heiraten?«, fragte Fygen aufgeregt.
»Jetzt!«
Fygen war offensichtlich noch nicht wach genug und dachte, sie hätte sich verhört. »Wann?«, fragte sie lauter.
»Psst«, machte Katryn. »Sei leise. Ich wollte Mettel und Grete nicht dazu einladen! Jetzt gleich! Los, mach dich hübsch und zieh dir etwas Nettes an.«
»Jetzt gleich, meinst du? Mitten in der Nacht?« Fygen, die immer noch nicht verstand, schaute sie verdutzt an, doch Katryn schob sie energisch zur Küchentür hinaus in Richtung Werkstatt.
Als die beiden Mädchen das Kloster erreichten, war es noch dunkel, doch bis zum Sonnenaufgang würde es nicht mehr lange dauern. Katryn zog Fygen durch ein schmiedeeisernes Gittertor in der Klostermauer, hinter der sich die kleine Kapelle des Klosters verbarg. Zwei Männer warteten vor der Tür: Der kleinere, ein Mann mit dunklem Haarschopf, lief nervös auf und ab. Als er die Mädchen kommen sah, eilte er rasch auf sie zu und schloss seine Braut in die Arme. »Da seid ihr ja! Ich hatte solche Angst, dass du aufgehalten wurdest.«
Den anderen Mann konnte Fygen nur im Profil sehen. Er war deutlich größer als der Bräutigam, und seine Haare waren hell. Eine Stirnfranse fiel ihm in die Augen, und Fygen stöhnte auf. Nicht schon wieder Peter Lützenkirchen! Dieser Mann schien sie zu verfolgen. Zweifellos sah er sehr gut aus, und Fygen fühlte sich zu ihm hingezogen. Sogar ein klein wenig mehr als das, musste sie sich eingestehen. Doch damit stand sie sicher nicht allein da, und in keinem Falle wollte sie sich in die endlose Schlange seiner Verehrerinnen einreihen. Peter Lützenkirchen war ein erfolgreicher Kaufmann, Seidenhändler, Zunftvorstand und wer weiß wie wohlhabend. Er wäre für sie einfach unerreichbar.
»Was hat der hier zu suchen?«, zischte sie Katryn leise ins Ohr.
Die Freundin zuckte mit den Schultern. »Er scheint wohl Mertyns Trauzeuge zu sein.«
Ein verschlafen aussehender Pater mit schütterem
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