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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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seinen Becher erhoben, um auf das Brautpaar anzustoßen. Sie leerten ihre Becher, und endlich durfte der hungrige Pater sich über das Frühstück hermachen.
    Fygen schnitt sich eine große Scheibe frisch gebackenen, dunklen Brotes ab und belegte sie dick mit Wurst. Dem Wurstbrot ließ sie eine Ecke fetten Käse folgen, um danach ein weiteres, reichlich gebuttertes Brot mit zähem, süßem Honig zu verspeisen. Es war erstaunlich, wie viel diese kleine Person zu essen vermochte, stellte Peter fest, der sie hin und wieder verstohlen musterte. In den wenigen Wochen, die seit Katryns Prüfung vergangen waren, hatte Fygen sich verändert. Sie war dünner geworden, und unter den matten, lehmfarbenen Augen lagen tiefe Schatten. Ihre Wangenknochen und das vorwitzige Kinn traten spitzer aus ihrem Gesicht hervor, als Peter es in Erinnerung hatte.
    Nun endlich schien sie ihre Mahlzeit beendet zu haben. Sie schob den Teller fort, nahm einen großen Schluck Wein aus ihrem Becher und wischte sich wie ein Kind mit der Hand über den Mund. Die Geste hatte etwas Anrührendes, fand Peter, doch dann fiel der Ärmel von Fygens Kleid zurück und gab ein Stück des Unterarmes frei. Auf der blassen, weichen Haut oberhalb ihres Handgelenkes zeichneten sich deutlich vier blutunterlaufene Flecken ab – Abdrücke von Fingern, die zu fest zugepackt hatten? Denselben Fingern, welche die Spuren auf Fygens linker Wange hinterlassen hatten?
    Bereits früh heute Morgen, als das kalte Morgenlicht auf ihr Gesicht getroffen war, hatte Peter die bläulich gefärbte Schwellung auf ihrer linken Wange wahrgenommen. An einer Stelle war die Haut sogar ein wenig aufgerissen, als hätte die Hand, die den Schlag geführt hatte, einen Ring getragen. Was musste das Mädchen alles bei seiner Lehrherrin erdulden? Peter überkam ein seltsames Gefühlsgemisch aus Mitgefühl für das Mädchen, gepaart mit einer gewaltigen Wut auf die alte Mettel.
    Peter war noch ganz in seinen Gedanken gefangen, als ein junges Mädchen mit hübschem, herzförmigem Gesicht, jedoch einem leicht gewöhnlich wirkendem Zug um den Mund, auf Fygen zutrat. Auf dem Arm trug sie ein straff gewickeltes Kind, das vielleicht ein Vierteljahr alt war. Peter konnte das nur vage abschätzen, in jedem Fall war das Kind winzig. Behutsam ließ das Mädchen den Säugling in Fygens Arme gleiten, der sofort seine winzigen Händchen in ihre Zöpfe vergrub und sie zahnlos angrinste. Peter erkannte das Mädchen. Es war eine der recht freizügigen jungen Damen, die er ein paar Mal in einem der Weinzapfe um den Alten Markt herum in Begleitung des einen oder anderen seiner Bekannten gesehen hatte. Ganz selbstverständlich ließ sie das Kind bei Fygen zurück und machte sich daran, der Hochzeitsgesellschaft die Becher neu zu füllen. Der Säugling schien sich auf Fygens Schoß sehr wohl zu fühlen, blubberte fröhlich vor sich hin und sabberte vertrauensvoll auf ihren Arm. Sanft kitzelte sie den Kleinen mit dem Finger unter dem Kinn, bis er krähend das kahle Köpfchen mit den wenigen weißblonden Flusen zurückwarf.
    Ebenfalls völlig ungezwungen setzte sich nun ein schlaksiger, junger Bursche, augenscheinlich der Sohn der Wirtsleute, dessen freundliche Gesichtszüge durch die eine oder andere Hautunreinheit verunziert wurden, zu Fygen. Die beiden schienen sehr vertraut miteinander umzugehen, stellte Peter fest und verspürte einen kleinen, unsinnigen Anflug von Eifersucht. Dieses Mädchen veranstaltete einen gewaltigen Wirbel in seinen Gefühlen, dachte er. Was gab ihr nur die Macht dazu, fragte er sich zum wiederholten Male und musste sich eingestehen, dass er so gut wie nichts über sie wusste. Doch das ließe sich ändern.
    »Hältst du das für eine gute Idee?«, riss Mertyn ihn aus seinen Gedanken.
    »Wie bitte? Ich habe nicht zugehört«, entschuldigte Peter sich mit einem kleinen, reuevollen Lächeln, das sein Freund mit einem wissenden Blick quittierte.
    »Das ist mir schon klar.« Mertyn lachte trocken. »Ich würde gerne, wenn Katryns Weberei läuft, mein eigenes Handelskontor öffnen und so wie du in den Englandhandel einsteigen. Ich könnte Katryns Seide gegen Wolltuche aus London handeln. Was hältst du davon?«
    »Grundsätzlich ist das eine gute Idee, denn die Profite, die man erwirtschaften kann, sind hoch. Zwar auch die Risiken, aber das macht ja gerade den Reiz aus. Jedoch benötigt man eine Menge Kapital, denn man muss auch hin und wieder Verluste hinnehmen können, ohne gleich an den Rand

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