Die Sekte Satans
— zum Teil große —
Spiegel hingen an den Wänden. Der Schreibtisch war aus weißem Schleiflack.
Ebenso Glänzers Sessel und die kleine Gruppe der Besucherstühle. Der
Schreibtisch war überladen mit Büchern und Zeitschriften. Das sah nach
Bildungshunger aus. Tatsächlich aber sorgte nur die Putzfrau beim Staubwischen
dafür, dass sich die Lage der Bücher hin und wieder veränderte.
Otto Glänzer — für die beiden
der Oberpriester Delirius - saß hinter dem Schreibtisch, hatte die Ellbogen aufgekantet
und das Kinn leicht erhoben. Er war 34, gab aber sein Alter mit 36 an, damit es
übereinstimmte mit der Ahnentafel der hohen Priester, die er selbst verfasst
hatte. Eine Fleißarbeit. Immerhin hatte er 776 Vorgänger erfunden, den ersten
im alten Babylon angesiedelt. Da das satanische Oberpriester-Ich — das Wort
Seele wurde streng vermieden - beim Ableben sofort in einen Neugeborenen
schlüpfte, mussten die Zeitfolgen nahtlos sein.
Dummerweise hatte er sich dabei
vertan — irgendwo zwischen dem neunten und 16. Jahrhundert — wie er
feststellte, als der Stammbaum fertig war. Um zwei Jahre stimmte der Anschluss
zwischen ihm und seinem Vorgänger nicht. Aber alles war schon so schön mit
roter Tinte — Blut, natürlich — auf pergamentähnliches Papier geschrieben. Die
Korrektur einer Lebensdauer hätte schlecht ausgesehen. Und um das Ganze noch
mal zu schreiben war er zu faul. Andererseits war dem Erdkreis nicht zuzumuten,
zwei Jahre ohne hohen Priester auszukommen. Deshalb entschloss er sich, seine
Geburt zwei Jahre vorzuverlegen — und schon stimmte der Stammbaum.
„Heil Satan!“
„Heil Satan!“
Delirius’ Kinnbewegung wies sie
an, sich zu setzen. „Krause mästet die Tiere zufrieden stellend“, berichtete
Hugo.
„Aber einige Hunde“, Claudia
schmachtete den Oberpriester an, „verweigern die Nahrungsaufnahme.“
„Wenn sie bis Donnerstag nicht
fressen, soll Krause zur Zwangsernährung übergehen.“
„Ist das möglich?“, fragte
Hugo.
„Noch nie was von Gänsemast
gehört? Den Gänsen wird das Futter reingestopft, wenn sie schon lange satt
sind. Mit Gewalt also. Dadurch werden sie leberkrank. Weil die Leber anschwillt
und verfettet. Als Mensch müsste man sofort zum Arzt. Aber die Gans wird
geschlachtet — und auf die Gänsestopfleber stürzen sich die Feinschmeckerköche.
Weil sie eine Delikatesse ist.“ Er hüstelte. „Was mit Gänsen geht, muss auch
mit Hunden möglich sein. Krause soll sich Mühe geben. Vielleicht wird auch aus
Hundestopfleber eine Delikatesse.“
Hugo nickte. Er fand zwar, dass
sich die Methode nicht unbedingt auf eine Dogge, einen Boxer oder einen
römischen Kampfhund übertragen ließ. Aber das Problem stellte sich nicht. Denn
weder er noch Claudia hatten Hunde dieser Gefährlichkeit eingefangen. Alle
waren klein und possierlich — keine Schulterhöhe reichte über 38 Zentimeter
hinaus.
Glänzer lehnte sich zurück und
entkrampfte die Halsmuskeln. Er war mittelgroß, aber in den Schultern enorm
breit. Er hatte kurze Beine und überlange Arme. In der Dämmerung konnte man ihn
für einen Menschenaffen halten. Er wusste das, trug deshalb Cowboystiefel mit
höchsten Absätzen und ließ die Arme nie baumeln. Meistens verschränkte er sie
beim Gehen und Stehen vor der Brust — auch mal im Nacken. Oder er legte die
Hände auf dem Rücken zusammen, wobei jeder Unterarm noch einen Knoten vertragen
hätte — leicht.
Sein Gesicht war schief. Die
linke Hälfte saß etwas tiefer als die rechte. Er hatte ein langes, schweres
Kinn. In die Stirn kringelte sich eine Napoleon-Locke. Jetzt flüsterte er.
„Wie ich dir schon am Telefon
sagte, Hugo, ist mir Satan erschienen. Ich stehe noch völlig unter dem
Eindruck. Es war gewaltig und schön. Er verlangt ein Menschenopfer.“
Das Wort schwebte im Raum. Es
passte zu den schwarzen Wänden.
Claudia sah sich in einem der
Spiegel und bedauerte, dass sie die Lippen nicht geschminkt hatte.
„Einen — von uns?“, flüsterte
Hugo.
„Nein. Wir sind seine
Lieblinge. Über uns hält er schützend Fäuste und Hufe.“
„Wen denn?“
Glänzer beugte sich vor. „Er
will einen Ausgestoßenen.“
„Einen... was?“ Hugo bemühte
sich, mitzudenken. Aber ihm ging der Seifensieder nicht auf.
„Er will einen“, zischelte
Glänzer, „der von niemandem vermisst wird.“
„Einen Greis“, rief Hugo.
Glänzer schüttelte den Kopf.
„Einen Rentner ohne Familie,
Freunde und Bekannte“, riet Claudia.
„Seht noch
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