Die Sekte Satans
sahen sie die Häuser von Grabrode.
Sie lagen da wie zusammengewürfelt.
„Keine Spur vom Kastenwagen“,
sagte Gaby.
„Vielleicht steht er vor dem
Institut, wenn wir ankommen“, meinte Klößchen.
„Es liegt auf der anderen
Seite.“ Klaus schaltete in den dritten Gang zurück. „Ich bin mal
vorbeigefahren.“
Tim presste die Lippen zusammen
und bemühte sich, ruhig zu atmen.
Er kannte dieses Gefühl zur
Genüge: eine Mischung aus Lampenfieber und Tatendrang.
Zwei Minuten später hielt Klaus
vor dem Institut Toddenhaupt.
Ein hoher Zaun umgab ein
verwahrlostes Gelände. Das obere Drittel des Zauns bestand aus Stacheldraht.
Unansehnliche Gebäude standen trostlos herum, als wären sie sich ihrer
grässlichen Aufgabe bewusst. Die meisten Fenster hatten Milchglasscheiben.
Etliche waren vergittert. Das rostige Gittertor war geschlossen, aber nicht
eingeklinkt — wie Tim sah.
Nichts rührte sich. Kein Laut
war zu hören.
Oh, Mann!, dachte Tim. Das war
umsonst. Fehlschlag! Ich spüre es.
9. Geld spielt keine Rolle
Robinson zitterte. Mehr
innerlich zwar, aber sein flackernder Blick verriet, was in ihm vorging.
Heinrich Wurzel, genannt
Robinson, war bleich unter seiner wettergegerbten Pennerhaut. Auch der Bart
zitterte, den er sich vorher im Fluss gewaschen hatte.
Glänzers Anwendungsraum, in dem
er sich jetzt befand, erschien ihm wie eine Folterkammer. Diese schwarzen
Wände! Diese Spiegel, in denen er sich sah!
Der Penner versuchte, sein Hemd
in die Hose zu stopfen. Nur mit Mühe gelang das. Zum einen, weil seine Finger
nicht gehorchten. Zum anderen, weil er auf dem unbequemen, weißlackierten Stuhl
vor Glänzers Schreibtisch saß.
Fein gemacht hatte er sich für
diesen Besuch — beim Heilgehilfen und Heilsanwender. Der sollte nicht denken,
dass er einen Stadtstreicher vor sich hatte. Deshalb war er in seine alte
Garderobe geschlüpft und hatte sich für einige Stunden verabschiedet von seinen
Lumpen.
Von Ärzten hielt er nichts.
Früher, als sein Leben noch anders verlief, hatte er sie gemieden. Fehlte ihm
was an Wohlbefinden und Gesundheit, wandte er uralte Hausmittel an — oder ließ
sich beraten von einem Kräuterweiblein. Nur im äußersten Notfall suchte er
einen Heilpraktiker auf — aber niemals einen studierten Mediziner.
Der Name Otto Glänzer hatte
sich rumgesprochen. Unter anderm auch bei den Pennern. Deshalb war Robinson
hergekommen.
Das Todesurteil!, dachte er. 58
Jahre bin ich — und alles ist aus. Meine Strafe! Ich wusste es ja immer. Seiner
Strafe entgeht man nicht.
An Glänzers Diagnose, an seiner
Beurteilung des Krankheitszustandes, zweifelte Robinson keine Sekunde.
Nein, der wusste Bescheid. Wie
der einem in die Augen sah — das war fachkundig. Und genau an der richtigen
Stelle hatte er Robinsons Oberbauch abgetastet — und eine Schmerzwoge
ausgelöst.
Jetzt saß Glänzer hinter dem
Schreibtisch, verschränkte die Arme vor der Brust und bemühte sich um
Zuversicht auf seinem schiefen Gesicht.
Für Robinson war er der
Todesengel.
„Vor allem“, sagte Glänzer,
„dürfen Sie den Mut nicht verlieren, mein Bester.“
Behutsam hatte er Robinson die
Wahrheit verabreicht: tröpfchenweise und auf zehn Minuten gestreckt. Am
Ergebnis änderte das nichts.
„Tja“, sagte Glänzer, „ohne
unbescheiden zu sein, darf ich sagen, dass mir Mittel zur Verfügung stehen, von
denen ein normaler Arzt“, er sprach das Wort aus wie eine Beleidigung, „nur
träumen kann. Aber Ihr Fall, Herr Wurzel... Nun, ich maße mir nicht an, stets
und ständig den Tod zu besiegen. Auch meine einzigartige Heilsanwendung hat
ihre Grenzen.“
Robinson starrte auf die
durchgestoßenen Manschetten seiner Jacke. Sie war fünf Jahre alt und noch nie
gereinigt worden. Tränen stiegen ihm in die Augen.
„Wie lange werde ich noch
leben, Herr Glänzer?“
„Nun“, der Babylon-Boss
schwenkte seinen Sessel herum und blickte zum Fenster, „genau kann man das
nicht sagen.“
„Weniger als ein Jahr?“
Robinson legte eine Hand auf den Bauch. Dort wühlte der Schmerz. „Ich muss es
wissen. Um... um alles zu ordnen.“
„Weniger, mein Bester. Vielleicht
viel weniger. Aber man soll nie aufgeben. Außerdem...“
Er sprach nicht weiter.
„Ja? Was wollten Sie sagen?“
„Außerdem sind meine Mittel
nicht erschöpft. In Zusammenarbeit mit einer Kollegin, die das Kraftfeld meiner
Heilsanwendung galaktisch überhöht und auslotet, wäre da noch sehr viel drin,
mein bester Herr Knolle.
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