Die sieben Finger des Todes
später war sie mit Mrs. Grand wieder zur Stelle, gefolgt von zwei Hausmädchen und einigen männlichen Bediensteten, die Rahmen und Einsatz eines leichten Stahlrohrbettes trugen. Sie machten sich daran, das Bett zusammenzustellen und aufzubetten. Kaum war die Arbeit getan und die Dienstboten wieder gegangen sagte sie:
»Es ist besser, wir sind bereit, wenn der Arzt wiederkommt. Sicher wird er Vater zu Bett bringen wollen, denn das Sofa taugt nichts.« Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ans Lager ihres Vaters.
Ich aber ging im Zimmer umher und besah mir alles ganz genau. Und es gab hier viele Dinge, die eines Menschen Neugierde zu wecken vermochten – auch wenn die Umstände weniger seltsam gewesen wären. Mit Ausnahme jener Gegenstände, die zur notwendigen Einrichtung eines Schlafzimmers gehören, war das Zimmer zur Gänze mit alten Kostbarkeiten angefüllt, vornehmlich solchen aus Ägypten. Da es sich um einen Raum von einiger Größe handelte, war ausreichend Gelegenheit, eine Vielzahl von Gegenständen unterzubringen, auch wenn es sich um Dinge von gewaltigen Proportionen handelte.
Während ich noch mit der Begutachtung des Zimmers beschäftigt war, hörte man von unten das Knirschen von Rädern auf Kies. Die Klingel an der Haustür wurde betätigt, und nach einem kurzen Anklopfen und der Aufforderung einzutreten, kam Doktor Winchester herein, gefolgt von einer jungen Frau in dunkler Schwesterntracht.
»Ich hatte Glück!« sagte er beim Eintreten. »Ich fand Sie sofort, und sie war frei. Miß Trelawny, das ist Schwester Kennedy!«
3. KAPITEL
DIE WACHEN
Mir fiel auf, wie die zwei jungen Frauen einander ansahen. Die Angewohnheit, mir auf Grund unbewußter Handlungen und Verhaltensweisen ein Bild von der Persönlichkeit eines Zeugen zu machen, ist mir vermutlich so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß ich sie auch außerhalb des Gerichtssaales in meinem persönlichen Leben beibehalten habe. Und in diesem Augenblick meines Lebens interessierte mich alles, was auch Miß Trelawny interessierte. Und da sie sich vom Neuankömmling beeindruckt zeigte, schätzte ich die Frau instinktiv ebenfalls ab. Bei einem Vergleich der beiden, war mir, als sähe ich Miß Trelawny viel deutlicher. Nun konnte man sich gewiß keinen größeren Gegensatz denken als die beiden Frauen. Miß Trelawny war von zierlicher Gestalt, dunkel, mit ebenmäßigen Zügen ausgestattet. Sie hatte wundervolle Augen – groß, schwarz, schimmernd wie Samt, und von geheimnisvoller Tiefe. Ein Blick in diese Augen war, als sähe man in einen schwarzen Spiegel wie Doktor Dee bei seinen Zauberriten. Bei dem Ausflug hatte ich gehört, wie ein alter Herr, ein erfahrener Orientreisender, die Wirkung ihre Augen beschrieben hatte. »Als wenn man des nachts durch die offenen Tore einer Moschee die großen Lampen aus einiger Entfernung erblicke.« Besonders typisch für sie waren die Brauen. Fein gewölbt und dicht wirkten sie als passende architektonische Umrahmung der tiefen, glänzenden Augen, Auch das Haar war schwarz, jedoch seidenweich. Im allgemeinen ist schwarzes Haar ein Zeichen animalischer Kraft und wirkt als Ausdruck einer Kraftnatur. In diesem Fall aber konnte davon nicht die Rede sein. Hier hatte man es mit einem verfeinerten und hochgezüchteten Typ zu tun. Und während jegliches Zeichen von Schwäche fehlte, wirkte die Andeutung von vorhandener Kraft eher geistig als körperlich. Ihr ganzes Sein schien in vollkommener Harmonie. Haltung, Figur, Haar, Augen, der lebhafte, volle Mund, dessen rote Lippen und weiße Zähne die untere Gesichtshälfte belebten, der weite Kieferbogen vom Kinn zum Ohr, die langen, zarten Finger, die Hand, die sich bewegte, als hätte sie ein eigenes Empfindungsvermögen. Alle diese Vollkommenheiten zusammengenommen bildeten eine Persönlichkeit, die durch Anmut und Liebreiz, durch Schönheit oder Charme beherrschend wirkte.
Im Gegensatz dazu erreichte Schwester Kennedy die weibliche Durchschnittsgröße nicht ganz. Sie war robust und untersetzt, ausgestattet mit runden Gliedmaßen und breiten, kräftigen, fähigen Händen. In der Färbung erinnerte sie an Herbstlaub. Das dunkelblonde Haar war dicht und lang, die goldbraunen Augen blitzten aus einem sommersprossigen, gebräunten Gesicht. Ihre rosigen Backen unterstrichen noch den Eindruck satten Brauns. Die roten Lippen und weißen Zähne desgleichen. Sie hatte ein Stupsnäschen, zweifellos. Wie jedoch alle Nasen dieses Typs war sie
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