Die sieben Finger des Todes
beeilen und bald wieder hier sein.« Und zu Miß Trelawny gewandt, setzte er hinzu: »Ich nehme an, es ließe sich einrichten, daß ich hier ein oder zwei Tage Quartier beziehe? Vielleicht wäre es Ihnen eine Hilfe oder ein Trost, wenn ich in der Nähe bin, solange dieses Rätsel ungelöst ist.«
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden.«
Er sah sie eindringlich an, ehe er fortfuhr: »Würden Sie mir gestatten, Tisch und Schreibtisch Ihres Vaters zu untersuchen, ehe ich gehe? Es könnte immerhin etwas vorhanden sein, das uns einen Fingerzeig gibt – oder wenigstens eine Spur.«
Ihre Antwort fiel zu seiner nicht geringen Verwunderung ganz eindeutig aus. »Sie haben voll und ganz meine Erlaubnis, alles zu unternehmen, was uns in dieser schrecklichen Sache weiterhelfen könnte – damit wir endlich erfahren, was mit meinem Vater los ist und wie wir ihn in Zukunft davor bewahren können!«
Sofort begann er mit einer systematischen Durchsuchung des Toilettentisches und sodann des Schreibtisches. In einem der Schubfächer entdeckte er einen versiegelten Brief. Diesen händigte er auf der Stelle Miß Trelawny aus.
»Ein Brief – an mich – in der Handschrift meines Vaters!« äußerte sie, während sie den Umschlag öffnete. Ich beobachtete sie genau, als sie zu lesen begann. Da ich aber bemerkte, daß auch Daw sie nicht aus den Augen ließ, hielt ich den Blick hinfort auf ihn gerichtet. Als Miß Trelawny den Brief zu Ende gelesen hatte, hatte sich in mir eine Überzeugung herausgebildet, die ich jedoch für mich behielt. Unter den Verdachtsmomenten, die der Detektiv sich zurechtgelegt hatte, befand sich ein möglicher und keineswegs bestimmter, nämlich ein Verdacht, der sich gegen Miß Trelawny selbst richtete.
Minutenlang hielt sie den Brief in der Hand, den Blick gesenkt, und dachte nach. Dann las sie ihn sorgfältig ein zweites Mal durch. Diesmal traten die verschiedenen Empfindungen in ihrer Miene noch stärker hervor, und ich vermeinte, ich könnte ihnen mit Leichtigkeit folgen. Sie hielt zunächst inne und reichte sodann dem Detektiv den Brief mit einigem Zögern. Er las ihn aufmerksam, aber mit steinerner Miene. Er las ihn ein zweites Mal und händigte ihr das Schreiben mit einer Verbeugung aus. Sie hielt kurz inne, ehe sie mir den Brief reichte. Dabei hob sie einen kurzen Augenblick lang flehend den Blick. Wangen und Stirn waren leicht gerötet.
Ich nahm den Brief mit gemischten Gefühlen entgegen, war aber insgeheim froh darüber. Dem Detektiv hatte sie das Schreiben ohne Gemütsbewegung gegeben – Sie hätte niemandem gegenüber Empfindungen zeigen müssen. Aber mir gegenüber – ich wollte diesen Gedanken nicht weiterverfolgen, sondern fing zu lesen an, wohl wissend, daß die Blicke von Miß Trelawny und Daw auf mich gerichtet waren.
»Meine liebe Tochter – dieser Brief ist als Anweisung gedacht, als absolute, bindende Anweisung, die nicht die geringste Abweichung zuläßt, für den Fall, daß mir durch Dich oder andere etwas Unglückliches oder Unerwartetes zustoßen sollte. Sollte ich plötzlich und auf geheimnisvolle Weise einer Krankheit, einem Unfall oder Angriff zum Opferfallen, dann mußt Du diese Anweisungen strikt befolgen. Falls ich mich nicht in meinem Schlafzimmer befinde, wenn Du von meinem Zustand erfährst, dann sorge dafür, daß ich schleunigst dahin geschafft werde. Auch im Fall meines Todes soll mein Leichnam in mein Zimmer geschafft werden. Von da an darf ich nicht allein gelassen werden, nicht einen Augenblick, so lange, bis ich wieder das Bewußtsein erlange und selbst Anweisungen geben kann oder bis ich beerdigt worden bin. Mindestens zwei Personen müssen sich vom Einbruch der Dunkelheit an bis Sonnenaufgang im Raum befinden. Es wird sicher ratsam sein, wenn eine Krankenpflegerin hin und wieder nach mir sieht und alle Symptome, seien sie stetig oder veränderlich, zur Kenntnis nimmt. Meine Rechtsberater, Marvin & Jenkins, mit Sitz 27 B Lincoln’s Inn, sind für den Fall meines Todes genauestens instruiert. Und Mr. Marvin wird persönlich überwachen, ob meinen Wünschen Folge geleistet wird. Liebe Tochter, da Du keine Anverwandten hast, an die Du Dich wenden könntest, rate ich Dir, Du mögest einen vertrauenswürdigen Freund entweder zu Dir ins Haus nehmen, wo Du ständig mit ihm Verbindung halten kannst, oder ihn bitten, er solle Dir allnächtlich bei der Wache helfen oder zumindest in erreichbarer Nähe bleiben. Dieser Freund mag männlich oder weiblich sein, wie immer es
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