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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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nicht ausgesprochen, als man eine leises Rütteln an der Klinke hörte. Miß Trelawnys Miene erhellte sich. Sie sprang auf und lief mit den Worten an die Tür:
    »Da ist er ja! Das ist mein Silvio. Wenn er in einen Raum möchte, stellt er sich auf die Hinterbeine und tappt auf die Klinke.« Sie machte die Tür auf und begrüßte die Katze, als spräche sie zu einem kleinen Kind. »Möchtest wohl herein, wie? Na, komm schon. Mußt aber brav bei mir bleiben!«
    Sie hob die Katze hoch, und kam mit dem Tier in den Armen wieder. Ein wahrhaft herrliches Tier! Der chinchillagraue Perserkater mit dem seidenweichen dichten Fell machte trotz seiner Sanftheit einen ausgesprochenen hochmütigen Eindruck. Die großen Pfoten gespreizt, so landete er auf dem Boden, und entwand sich aalgleich den Armen der Herrin, die das Tier liebkoste. Er huschte durch den Raum und hielt vor einem niederen Tisch inne, auf dem eine Tiermumie stand. Der Kater fing zu miauen und zu fauchen an. Sofort war Miß Trelawny zur Stelle, die das Tier in die Arme nahm, obgleich es sich lebhaft zur Wehr setzte. Dabei beschränkte es sich auf Tritte und widerspenstiges Sich-Winden und biß und kratzte nicht, denn es liebte seine schöne Herrin offensichtlich. Kaum war es in ihren Armen, gab es keinen Laut mehr von sich. Sie mahnte es im Flüsterton:
    »Du, schlimmer, schlimmer Silvio, du! Frauchen hat für dich gebürgt, und jetzt benimmst du dich so! So, und jetzt sag den Herren schön gute Nacht und komm mit in Frauchens Zimmer!«
    Dabei hielt sie mir die Katzenpfote entgegen, damit ich sie ergreife. Ich tat es und konnte nicht umhin die Größe und Wohlgestalt zu bewundern.
    »Hm, sieht ja fast aus wie ein krallenbewehrter kleiner Boxhandschuh«, bemerkte ich.
    Sie lächelte. »Soll es auch. Sehen Sie, mein Silvio hat richtige Zehen!« Sie öffnete die Pfote. Tatsächlich, das Tier hatte sieben Krallen, von denen jede in einer feinen zarten muschelartigen Umhüllung steckte. Und während ich das Füßchen sacht streichelte, traten die Krallen hervor, und eine kratzte mich zufällig – denn der Zorn des nunmehr sanft schnurrenden Tieres war verraucht – in die Hand. Ich zuckte zurück und rief aus: »Das sind ja messerscharfe Krallen!«
    Doktor Winchester war herangetreten und neigte sich über die Katzenpfote. Und noch während ich sprach, rief er aus:
    »Aja!« Ich hörte wie er scharf einatmete. Indes ich das ganz sanftmütig gewordene Tier streichelte, ging der Arzt an den Tisch, um ein Stück Löschpapier von der Schreibunterlage abzureißen. Dieses Stück Papier legte er flach auf die Handfläche und drückte mit einem schlichtem: »Sie gestatten!« zu Miß Trelawny die Katzenpfote darauf. Das hochmütige Katzentier schien diese Vertraulichkeit übelzunehmen und wollte die Pfote wegziehen. Genau das aber wollte der Doktor, denn dabei zeigte der Kater die Krallen und riß das weiche Papier auf. Miß Trelawny trug das Tier hinaus. Nach wenigen Minuten kam sie wieder und sagte beim Eintreten: »Sonderbar ist das mit der Mumie! Damals, als Silvio zum ersten Mal hier ins Zimmer kam – ich wollte ihn als kleines Kätzchen Vater zeigen –, da verhielt er sich ebenso. Er sprang auf den Tisch und wollte die Mumie kratzen und beißen. Das war es ja, was Vater so wütend machte und dem armen Silvio die Verbannung einbrachte. Er durfte nur im Haus bleiben, weil ich mich für sein Wohlverhalten verbürgte.«
    In ihrer Abwesenheit hatte Doktor Winchester den Verband vom Arm ihres Vaters entfernt. Die Wunde war nun deutlich sichtbar, da sich die einzelnen Schnitte als leuchtendrote Striche hervorhoben. Der Arzt faltete das Löschpapier entlang der von den Krallen gerissenen Markierung und hielt es an die Wunde. Dabei blickte er triumphierend auf, um uns sogleich heranzuwinken.
    Die Risse im Papier entsprachen genau den Wundmalen am Handgelenk! Eine Erklärung war überflüssig, als er sagte:
    »Hätte Klein Silvio sein Ehrenwort bloß nicht gebrochen!«
    Wir alle schwiegen still. Plötzlich aber sagte Miß Trelawny:
    »Also Silvio war gestern nacht nicht hier im Raum!«
    »Sind Sie sicher? Könnten Sie das notfalls auch beweisen?«
    Sie zögerte, ehe sie erwiderte: »Ich bin ganz sicher. Doch fürchte ich, daß ein Beweis schwer zu erbringen wäre. Silvio schläft in meinem Zimmer in einem Körbchen. Ich weiß mit Sicherheit, daß ich ihn gestern zu Bett brachte. Ich entsinne mich deutlich, daß ich seine kleine Decke über ihn breitete und die Decke feststopfte.

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