Die sieben Finger des Todes
wurde auf tausend verschiedene Arten vervielfacht. Der ganze Raum und alles darin Befindliche gaben Grund für seltsame Überlegungen. Hier sah man so viele uralte Dinge, daß man sich unwillkürlich in fremde Länder zurückversetzt fühlte. Diese zahlreichen Mumien und Mumienobjekte, an denen auf ewig die durchdringenden Düfte von Erdpech, von Gewürzen und Harzen zu haften schien – »Die würzigen Düfte von Narden und Narzissen«, wie es so schön heißt – daß man die Vergangenheit einfach nicht vergessen konnte. Überdies herrscht nur gedämpftes Licht im Raum, kein direkter Schein, der sich als Kraft einer Wesenheit manifestieren kann und einen das Fehlen von Gesellschaft vergessen läßt. Es war ein großer und hoher Raum. In dieser Weitläufigkeit war Raum für viele Dinge, die in einem Schlafzimmer höchst ungewöhnlich waren. In den entfernten Winkeln des Raumes sah man Schatten von unheimlicher Form. Mehr als einmal wurde ich während meiner Überlegungen von der vielfachen Gegenwart von Tod und Vergangenheit so gepackt, daß ich mich dabei ertappte, wie ich mich ängstlich umblickte, als wäre eine Persönlichkeit oder ein Einfluß fremder Art gegenwärtig. Sogar die sichtbare Anwesenheit von Doktor Winchester und Miß Trelawny boten mir in diesem Augenblick weder Trost noch Befriedigung. So nahm ich mit deutlicher Erleichterung wahr, daß in Gestalt von Schwester Kennedy eine neue Persönlichkeit dem Raum betrat. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die sachliche, selbstsichere und tüchtige junge Frau meinen wilden Phantasiegebilden ein Element der Sicherheit hinzufügte. Ihr gesunder Menschenverstand schien alles um sie herum zu durchdringen, so als wäre er eine Art von Strahlung. Bis zu diesem Augenblick hatte ich um den Kranken phantastische Vorstellungen errichtet, bis schließlich alles um ihn herum, einschließlich meiner selbst damit verquickt wurde, sich darin verfing oder… Kaum aber war sie eingetroffen, war er plötzlich nicht mehr als ein Patient. Der Raum war wieder ein Krankenzimmer, und die Schatten hatten alles Furchteinflößende eingebüßt. Das einzige, was sich nicht hatte ausmerzen lassen war der seltsame ägyptische Geruch. Man lege eine Mumie in einen Glasbehälter und schließe diesen hermetisch ab, so daß die zersetzende Luft nicht dazugelangen kann – dennoch wird die Mumie diesen Geruch ausströmen. Man möchte meinen, daß vier- oder fünftausend Jahre ausreichen müßten, jeglichen Duftstoff zu tilgen, doch die Erfahrung lehrt, daß die Gerüche sich erhalten und für uns ein Rätsel bleiben. Heute sind sie ebenso Geheimnisvoll wie einst als die Einbalsamierer den Leichnam in ein Natronbad legten…
Plötzlich richtete ich mich auf. Ich hatte mich von einem Tagtraum gefangennehmen lassen. Der ägyptische Duft hatte von meinen Nerven Besitz ergriffen – von meinem Gedächtnis, ja von meinem Willen.
In diesem Augenblick kam mir ein Gedanke gleich einer Inspiration. Wenn ich schon durch den Geruch so beeinflußt wurde, war es dann nicht möglich, daß der Kranke, der mehr als sein halbes Leben in dieser Umgebung verbracht hatte, allmählich und mittels eines langsamen, aber unaufhaltsamen Prozesses in sich etwas aufgenommen hatte, das sich so mit ihm vermengte, daß eine neue Kraft aus der Quantität gewonnen wurde – oder aus der Stärke – oder…
Erneut verlor ich mich in einem Tagtraum. Nein, so ging es nicht. Ich mußte Vorkehrungen treffen, damit ich wach blieb und frei von diesen einschläfernden Gedanken. Ich hatte von der vergangenen Nacht nur die Hälfte durchgeschlafen. Und kommende Nacht mußte ich wach bleiben. Ohne meine Absicht kundzutun, damit Miß Trelawny nicht zusätzlich Kummer und Unannehmlichkeiten zugefügt wurden, ging ich hinunter und verließ das Haus. Bald hatte ich eine Apotheke gefunden, in der ich ein Sauerstoffgerät erstand. Als ich zurückkam, war es zehn Uhr. Der Arzt wollte sich eben für die Nacht empfehlen. Die Pflegerin begleitete ihn an die Tür des Krankenzimmers, letzte Anweisungen entgegennehmend. Miß Trelawny saß reglos am Krankenbett. Sergeant Daw, der beim Weggehen des Arztes eingetreten war, stand in einiger Entfernung.
Als Schwester Kennedy sich zu uns gesellte, kamen wir überein, daß sie bis zwei Uhr morgens Wache halten sollte, bis Miß Trelawny sie ablösen würde. So würden im Einklang mit Mr. Trelawnys Verfügungen jeweils ein Mann und eine Frau im Raum anwesend sein. Und ein jeder würde ein wenig
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