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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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abgewendet. Die Lockerung der Situation wurde uns auf seltsame Weise bewußt gemacht. Mrs. Grant, die bemerkte, daß ihre junge Herrin nur mit dem Nachtgewand bekleidet war, hatte ihr einen Morgenmantel gebracht, den sie ihr nun überwarf. Diese schlichte
    Handlung versetzte uns alle wieder zurück ins Reich der Tatsachen. Aufatmend machten wir uns alle daran, das Allerdringendste zu erledigen, nämlich den Blutstrom aus dem Arm des Verletzten zu stillen. Als der Moment des Handelns kam, war ich direkt froh, denn die Blutung war der beste Beweis dafür, daß Mr. Trelawny noch lebte.

 

Die in der vergangenen Nacht gelernte Lektion war nicht vergessen. Von den Anwesenden wußten die meisten, was in diesem Notfall zu tun war, und so waren in Sekundenschnelle willige Hände dabei einen Preßverband zu machen. Man schickte nach dem Arzt, und die Dienstboten zogen sich ehrerbietig zurück. Wir hoben Mr. Trelawny zurück aufs Sofa, auf dem er gestern gelegen hatte. Nachdem wir alles in unseren Kräften Stehende für ihn getan hatten, wandten wir unsere Aufmerksamkeit der Krankenschwester zu. Sie hatte sich während des Durcheinanders nicht gerührt und saß da wie vorhin, aufrecht und steif, leise und ganz natürlich atmend und friedlich lächelnd. Da wir vor dem Eintreffen des Arztes mit ihr nichts anzufangen wußten, unterzogen wir die allgemeine Lage einer Begutachtung.
    Mrs. Grant hatte mittlerweile ihre Herrin fortgeführt und ihr beim Umkleiden geholfen. Denn Miß Trelawny war nun wieder zur Stelle in Morgenmantel und Pantöffelchen. Die Hände waren vom Blut gesäubert. Sie hatte sich beruhigt, konnte aber ein leises Beben nicht unterdrücken. Ihr Antlitz war totenblaß. Nach einem Blick auf den Arm ihres Vaters und auf mich, der ich den Knebel des Verbandes hielt, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, wobei sie die Anwesenden der Reihe nach ansah, ohne hierin Trost finden zu können. Mir war klar, daß sie nicht wußte, wo sie anfangen oder wem sie trauen konnte. Daher sagte ich, um sie ein wenig zu beruhigen:
    »Mir fehlt nichts. Ich war nur eingeschlafen.«
    Sie schluckte schwer, als sie antwortete: »Eingeschlafen! Sie! Und mein Vater in Lebensgefahr! Und ich dachte, Sie hielten Wache!«
    Ich spürte den Stachel in der Zurechtweisung, da ich ihr aber wirklich helfen wollte, sagte ich:
    »Ja, nur eingeschlafen. Schlimm, ich weiß, aber um uns herum ist mehr als ein »Nur«. Hätte ich nicht bestimmte Vorkehrungen getroffen, säße ich womöglich da wie die Schwester.«
    Sie warf einen hastigen Blick zu der unheimlich wirkenden Gestalt hinüber, die ernst und aufrecht dasaß wie eine bemalte Statue. Miß Trelawnys Miene wurde weich, und sie sagte in ihrer gewohnten höflichen Art:
    »Verzeihen Sie! Ich wollte Sie nicht kränken. Aber ich bin so bekümmert und verängstigt, daß ich kaum mehr weiß, was ich rede. Ach, es ist schrecklich! Jeden Augenblick befürchte ich neue Aufregung, neuen Schrecken und ein neues Rätsel.«
    Diese Worte schnitten mir tief ins Herz, und aus meinem überströmenden Herzen kam die Antwort:
    »Verschwenden Sie keinen Gedanken an mich! Ich verdiene es nicht! Ich sollte Wache halten und schlief ein. Ich kann dazu bloß sagen, daß es nicht meine Absicht war und daß ich es zu verhindern suchte. Doch es übermannte mich, ehe ich es merkte. Nun, es ist geschehen und kann nicht wieder ungeschehen gemacht werden. Vielleicht werden wir alle eines Tages hinter das Geheimnis kommen. Jetzt aber müssen wir versuchen, uns einigermaßen zu vergegenwärtigen, was eigentlich geschah. Sagen Sie mir jetzt, was Sie wissen!«
    Das Bemühen sich zu entsinnen schien sie zu beleben. Sie wurde immer ruhiger, während sie berichtete:
    »Ich war eingeschlafen und erwachte plötzlich mit demselben schrecklichen Gefühl, Vater wäre in großer und unmittelbarer Gefahr. Ich sprang auf und lief so wie ich war hierher. Es war fast stockfinster, doch als ich die Tür öffnete, konnte ich Vaters Nachtgewand ausmachen, der auf dem Boden unter dem Safe lag, wie in der ersten schrecklichen Nacht. Und dann muß ich wohl einen Au genblick den Verstand verloren haben.« Sie hielt schaudernd inne. Mein Blick blieb nun an Sergeant Daw haften, der sich sinnlos an seinem Revolver zu schaffen machte. Meinen Griff am Knebel nicht lockernd, sagte ich leise:
    »Sergeant Daw, sagen Sie uns, worauf sie geschossen haben.«
    An Gehorsam gewöhnt riß sich der Polizeidetektiv zusammen. Mit einem Blick in die Runde der

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