Die sieben Finger des Todes
wenig beiseite gerückt, stand ein hoher Intarsienschrank. Die Glastür war zersplittert.
Ich fragte: »War dies die Richtung ihres ersten oder des zweiten Schusses?«
Prompt kam seine Antwort: »Des zweiten. Der erste ging da hinüber!«
Er wandte sich ein wenig nach links, mehr der Wand zu, an der das große Safe stand und zeigte dorthin. Ich folgte der Richtung seines Armes und gelangte zu dem niederen Tisch, auf dem unter anderen Raritäten, die Mumie der Katze stand, die Silvios Zorn erregt hatte. Ich holte mir eine Kerze und konnte nun ganz leicht den Weg feststellen, den die Kugel genommen hatte. Sie hatte eine kleine Glasvase zerbrochen, und eine flache Zierschale aus schwarzem Basalt mit kunstvoll eingravierten Hieroglyphen, deren Linien mit feinem grünen Pulver ausgefüllt und schließlich glattpoliert worden waren. Die vom Anprall gegen die Wand flachgedrückte Kugel lag auf dem Tisch.
Sodann ging ich an den zerbrochenen Schrank, der offensichtlich als Aufbewahrungsort für wertvolle antike Raritäten diente. Darin befanden sich etliche große Skarabäen aus Gold, aus Achat, grünem Jaspis, Amethyst, Lapislazuli, Opal, Granit und blaugrünem Porzellan. Zum Glück waren diese Dinge unversehrt geblieben. Die Kugel hatte die Hinterwand des Schrankes durchschlagen, doch war bis auf das zerbrochene Glas kein Schaden entstanden. Mir fiel die seltsame Anordnung der Stücke im Schrank auf. Sämtliche Skarabäen, Ringe, Amulette und ähnliches waren in einem ungleichmäßigen Oval rund um eine kunstvoll gearbeitete goldene Miniaturfigur eines adlerköpfigen Gottes gruppiert, den ein federngeschmückter scheibenförmiger Kopfschmuck krönte. Im Moment aber hatte ich keine Zeit für weitere Einzelheiten, denn meine Aufmerksamkeit wurde von dringenderen Umständen in Anspruch genommen. Bei Gelegenheit aber wollte ich hier genauer Nachschau halten. Mir war nämlich aufgefallen, daß der seltsame orientalische Geruch zum Teil von diesen Raritäten ausging. Durch die zerbrochene Glastür drang zusätzlicher Duft nach Gewürzen und Harz, stärker als von den anderen im Raum befindlichen Gegenständen.
Das alles hatte nur wenige Minuten in Anspruch genommen. Ich war nicht wenig erstaunt, als meine Augen das hellere Tageslicht durch die Spalten zwischen dunklen Jalousien und den Fensterrahmen wahrnahmen. Als ich ans Sofa trat und von Mrs. Grant den Knebel übernahm, ging sie ans Fenster und zog die Jalousien hoch.
Es ließ sich kaum etwas Unheimlicheres vorstellen, als jener im grauen Frühmorgenlicht daliegende Raum. Da alle Fenster nach Norden gingen, war das einfallende Licht von einem unveränderlichen Grau, ohne die rosige Verheißung des östlichen Himmelsgeviertes. Das elektrische Licht wirkte trüb und grell gleichermaßen. Und alle Schatten traten hart und intensiv hervor. Da war nichts von Morgenfrische und nichts von nächtlicher Sanftheit. Alles war hart und kalt und unaussprechlich trübe. Das Antlitz des Bewußtlosen auf dem Sofa wirkte unheimlich gelb, während das Gesicht der Krankenschwester einen grünen Schimmer vom Schirm der neben ihr stehenden Lampe abbekommen hatte. Allein Miß Trelawnys Gesicht war weiß, ja es war so bleich, daß es mir im Herzen weh tat. Es sah aus, als könne ihm nichts auf Gottes Erde jemals wieder die Farbe des Lebens und des Glücks zurückbringen.
Für uns alle war es eine große Erleichterung, als Doktor Winchester eintraf, atemlos vom Laufen.
»Kann jemand mir etwas darüber sagen, wie diese Wunde zugefügt wurde?«
Auf unser allgemeines Kopfschütteln hin, machte er sich stumm ans Werk. Er sah kurz zu der reglos dasitzenden Schwester Kennedy auf, beugte sich dann aber wieder mit ernst gerunzelter Stirn über den Kranken. Erst als die Arterien abgebunden und die Wunden voll und ganz versorgt war, äußerte er wieder eine Frage:
»Was ist mit Schwester Kennedy?«
Miß Trelawny antwortete, ohne zu zögern:
»Ich weiß es nicht. Als ich um halb drei hereinkam, saß sie genauso da. Wir haben sie weder bewegt noch ihre Stellung verändert. Sie ist seither auch nicht aufgewacht. Nicht einmal Sergeant Daws Pistolenschüsse konnten sie wecken.«
»Pistolenschüsse? Wurde denn für diesen neuerlichen Überfall ein Grund entdeckt?« Da niemand etwas sagte, gab ich zur Antwort:
»Wir konnten nichts entdecken. Ich hielt hier mit Schwester Kennedy Nachtwache. Schon früher am Abend hatte ich das Gefühl, daß diese Mumiengerüche mich einschläferten. Ich ging daher aus
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