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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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natürlichen Kräfte des Verfalls aufzuhalten vermochten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sehr mächtige Kräfte am Werk sein. Gut möglich, daß wir es hier mit einer seltenen Substanz zu tun haben, deren Eigenschaften und Kräfte wir in unserem späten und viel prosaischeren Zeitalter nicht begreifen. Möchte doch wissen, ob Mr. Trelawny mehr darüber weiß oder argwöhnt? Eines jedenfalls steht fest: man kann sich eine üblere Atmosphäre für ein Krankenzimmer gar nicht vorstellen. Und ich muß den Mut Sir Freres bewundern, der unter diesen Umständen mit dem Fall nicht befaßt werden möchte. Die für seine Tochter bestimmten Anweisungen Mr. Trelawnys, und nach dem, was Sie mir darüber sagten, die Sorgfalt, mittels der er seine Wünsche durch seinen Anwalt schützen läßt, zeigen sehr wohl, daß er jedenfalls etwas in dieser Richtung argwöhnte. Ja, es sieht fast so aus, als hätte er etwas Derartiges erwartet… hm, ob man darüber wohl etwas in Erfahrung bringen könnte! Gewiß könnte man seinen Papieren etwas entnehmen… Ein schwieriges Unterfangen, aber wir werden es wagen müssen. Denn sein jetziger Zustand darf nicht ewig währen. Sollte etwas passieren, würde es eine gerichtliche Untersuchung geben. In diesem Fall würde eine gründliche Überprüfung vor nichts haltmachen… So wie es jetzt aussieht, würde das Beweismaterial der Polizei einen mehrmals wiederholten Mordanschlag aufzeigen. Und da keine Spuren vorhanden sind, könnte es sich als nötig erweisen, statt der Spur ein Motiv zu suchen.«
    Er schwieg still. Seine letzten Worte waren immer leiser geworden, und klangen hoffnungslos. In mir festigte sich die Überzeugung, daß nun für mich der Zeitpunkt gekommen wäre herauszufinden, ob er einen bestimmten Verdacht hätte. Als stünde ich unter einem gewissen Zwang fragte ich:
    »Haben Sie jemanden unter Verdacht?«
    Er schien eher erschrocken als erstaunt, als er mich ansah und sagte: »Jemanden? Sie meinen wohl eher etwas. Ich bin sicher, daß da ein bestimmter Einfluß wirksam wird. Im Moment beschränkt sich mein Verdacht allein darauf. Später allerdings, wenn meine Überlegungen, mein Nachdenken zu einem bestimmten Schluß führen sollten, wird sich mein Verdacht konkretisieren. Im Moment allerdings…«
    Er hielt plötzlich inne und blickte zur Tür. Ein leises Geräusch war zu hören, als die Klinke niedergedrückt wurde. Ich spürte, wie mein Herz stillstehen wollte. Eine düstere Vorahnung überkam mich. Die Unterbrechung vom Morgen, als ich das Gespräch mit dem Detektiv führte, fiel mir schlagartig wieder ein.
    Die Tür ging auf, Miß Trelawny trat ein.
    Sie bemerkte uns und wollte sofort kehrtmachen, wobei tiefe Röte ihr Antlitz überflutete. Sekundenlang hielt sie inne, und diese wenigen Sekunden schienen sich in geometrischer Progression in die Länge zu dehnen. Meine Anspannung und sichtlich auch die des Doktors ließ nach, als sie sagte:
    »Ach, sie müssen entschuldigen, ich wußte nicht, daß Sie beschäftigt sind. Doktor Winchester, ich suchte Sie, weil ich Sie fragen wollte, ob ich heute unbesorgt zu Bett gehen kann, da Sie ja hier sind. Ich bin so müde und abgespannt, daß ich fürchte zusammenzubrechen. Und heute nacht würde ich gewiß nicht von Nutzen sein können.«
    Doktor Winchesters Antwort kam von Herzen: »Aber natürlich! Legen Sie sich zur Ruhe und schlafen Sie sich tüchtig aus. Sie brauchen es weiß Gott. Ich bin froh, daß Sie selbst diesen Vorschlag machen, denn als ich Sie heute nacht sah, glaubte ich schon, Sie würden meine nächste Patientin abgeben.«
    Sie seufzte erleichtert auf, und ihr müder Ausdruck belebte sich. Nie werde ich den tiefen, ernsten Blick ihrer großen, wunderschönen schwarzen Augen vergessen, als sie zu mir sagte:
    »Sie werden Vater heute nacht behüten, ja? Gemeinsam mit Dr. Winchester. Ich bin so voller Sorge, daß jede Sekunde neue Ängste bringt. Aber ich bin so erledigt, daß ich fürchte wahnsinnig zu werden, wenn ich mich nicht ausschlafen kann. Heute will ich ein anderes Zimmer beziehen. Wenn ich nämlich in Vaters Nähe bliebe, bausche ich womöglich jedes Geräusch zu einer neuen Bedrohung auf. Sie werden mich gewiß wecken lassen für den Fall, daß sich etwas ereignen sollte. Ich werde im Schlafzimmer der kleinen Suite neben dem von der Diele abzweigenden Boudoir schlafen. Als ich hierherkam, um bei Vater zu leben, waren das die Räume, die ich bewohnte… Dort werde ich mehr Ruhe finden, vielleicht sogar

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