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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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Kranken oder ich die Nacht über Wache hielten. In den frühen Morgenstunden wachten wir gemeinsam. Ich sah diesem Zeitpunkt mit Bangen entgegen, denn ich wußte ja, daß der Detektiv in aller Heimlichkeit selbst auf dem Posten, und zwar besonders wachsam, sein würde.
    Der Tag verlief ereignislos. Miß Trelawny schlief nachmittags und löste nach dem Dinner die Schwester ab. Mrs. Grant blieb bei ihr, während Sergeant Daw auf dem Korridor Wache hielt. Ich nahm indessen mit Dr. Winchester den Kaffee in der Bibliothek ein. Wir steckten eben unsere Zigarren an, als er leise sagte:
    »Und nun zu unserem vertraulichen Gespräch. Wie gesagt, die Sache muß unter uns bleiben, das versteht sich.«
    »Selbstverständlich!« sagte ich mit sinkendem Herzen und dachte an mein Gespräch mit Sergeant Daw vom vergangenen Morgen und an die bohrenden Ängste, die es in mir hinterlassen hatte.
    »Dieser Fall ist dazu angetan, den geistigen Normalzustand von uns allen, die wir betroffen sind, auf eine Probe zu stellen. Je mehr ich darüber nachdenke desto konfuser scheine ich zu werden. Und diese zwei Geraden der logischen Beweisführung, streben immer stärker in entgegengesetzte Richtungen.«
    »Welche Geraden?«
    Er sah mich scharf an, ehe er Antwort gab. In solchen Augenblicken konnte Doktor Winchesters Blick höchst beunruhigend sein. Und er hätte so auf mich gewirkt, hätte ich abgesehen von meinem Interesse an Miß Trelawny, noch ein anderes persönliches Interesse an dem Fall gehabt. Wie die Dinge aber lagen überstand ich den Blick ungerührt. Ich fühlte mich nun ganz als Anwalt. In gewissem Sinne fungierte ich hier als »amicus curie«, in einem anderen Sinn aber hatte ich die Verteidigung über. Allein der Gedanke, daß im Kopf dieses klugen Mannes zwei gleichstarke und entgegengesetzte Linien zu finden waren, war an sich so tröstlich, daß meine Befürchtungen bezüglich einer neuerlichen Attacke sich in Nichts auflösten. Als er zum Reden ansetzte, lächelte er undeutbar. Dieses Lächeln wich jedoch ernster Bedeutsamkeit, als er sagte:
    »Zwei Geraden – nämlich Tatsache und – Phantasie! Die erste beinhaltet diese ganze Sache: Angriff, versuchten Raub und Mord; Ohnmächten, geplante Katalepsie, die entweder auf verbrecherischen Hypnotismus und Gedankensuggestion hinweist oder auf eine einfache Form der Vergiftung, die in unserer Toxikologie noch nicht bekannt ist. Die andere Gerade zeigt an, daß ein Einfluß am Werk ist, der in keinem mir bekannten Buch vorkommt – es sei denn in Romanen. Noch nie im Leben empfand ich so stark den Wahrheitsgehalt von Hamlets Worten:
    »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde…
    Als eure Schulweisheit sich träumen läßt.«
    Nun, sehen wir uns als erstes die »Tatsachenseite« an. Da hätten wir einen Mann in seinem eigenen Haus, inmitten seines Haushalts; es befinden sich zahlreiche Bediente verschiedener Klassen im Haus, was einen organisierten Anschlag von seiten des Dienstbotentraktes ausschließt. Der Mann ist reich, gelehrt, klug. Seine Physiognomie läßt keinen Zweifel daran zu, daß er ein Mensch mit eisernem Willen und mit zielstrebiger Entschlußkraft ist. Seine Tochter – vermutlich das einzige Kind, ein intelligentes, reizendes Mädchen – schläft im angrenzenden Zimmer. Es liegt kein Grund vor, einen Angriff oder eine Störung irgendwelcher Art zu erwarten und keine vernünftige Gelegenheit für einen Außenstehenden dergleichen zu verursachen. Und doch haben wir es mit einem Angriff zu tun, einem brutalen, erbarmungslosen Angriff mitten in der Nacht. Die Entdeckung folgt unmittelbar danach, so rasch, daß es nicht nach Zufall, sondern Absicht aussieht. Der oder die Angreifer wurden sichtlich vor Vollendung ihrer Absicht gestört, wie immer diese ausgesehen haben mag. Und doch gibt es nirgends Anzeichen einer Flucht; keine Spur, keine Störung irgendwelcher Art, keine offene Tür, kein offenes Fenster, kein Geräusch. Nichts, was auf einen Täter hingewiesen hätte, ja auch nur darauf, daß eine Untat begangen wurde – bis auf das Opfer und seine von der Tat betroffene nähere Umgebung!
    In der darauffolgenden Nacht kommt es zu einem ähnlichen Versuch, obwohl das Haus voller Menschen ist, die wach sind, obwohl im Zimmer und in dessen Umgebung ein Detektiv, eine ausgebildete Krankenschwester, ein gewissenhafter Freund und des Mannes eigene Tochter Wache halten. Die Schwester verfällt in kataleptische Starre, und der wachsame Freund – obwohl durch ein

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