Die sieben Finger des Todes
erleichtert zurück und beeilte sich. Ich führte nun den Fremden in das kleine Boudoir, in das man vom Vestibül aus gelangte. Im Gehen fragte er mich:
»Sind Sie der Sekretär?«
»Nein, ich bin ein Freund von Miß Trelawny. Mein Name ist Ross.«
»Vielen Dank, Mr. Ross, für Ihre Liebenswürdigkeit!« antwortet er. »Ich heiße Corbeck. Ich würde Ihnen gerne meine Karte geben, aber dort, wo ich herkomme, braucht man keine Karten. Und hätte ich welche bei mir gehabt, wären sie vermutlich letzte Nacht ebenfalls verschwunden…«
Er hielt abrupt inne, als hätte er schon zuviel gesagt. Wir beide schwiegen still,, und ich konnte ihn während des Wartens unter die Lupe nehmen. Ein kleiner, robuster Mann, braun wie eine Kaffeebohne, wahrscheinlich zur Fülle neigend, doch im Moment auffallend mager. Die tiefen Gesichts- und Halsfalten waren nicht nur Zeichen der Zeit und der Abnutzung, es waren untrügliche Zeichen dafür, daß das Fleisch oder Fett darunter weggeschmolzen und die Haut schlaff geworden war. Der Hals war ein einziges Gewirr von Falten und Furchen, von der Wüstensonne versengt. Der Ferne Osten, die Tropen, die Wüste – sie alle hinterlassen ihre Farbspuren. Doch alle sind sie ganz unterschiedlich. Ein Auge, das sie einmal kennengelernt hat, wird sie hinfort immer erkennen. Die düstere Blässe, das tiefe Rotbraun und schließlich die dunkle eingebrannte Bräune, die nicht mehr verblaßt. Mr. Corbeck hatte einen großen massiven Schädel, wirres brünettes Haar, das an den Schläfen zurückwich. Seine Stirn war schön, nämlich breit und hoch, mit einem, um in Begriffen der Physiognomie zu sprechen, deutlich markierten frontalen Sinus. Die eckige Form deutete auf »Vernunft«, die vollen Partien unter den Augen auf »Sprache«. Er besaß die kurze, breite Nase der Energiegeladenen, das eckige Kinn – trotz eines dichten, wirren Bartes betont hervortretend – und die massive Kieferpartie des Entschlußkräftigen.
»Nicht übel für die Wüste!« dachte ich bei mir.
Miß Trelawny war rasch zur Stelle. Mr. Corbeck schien bei ihrem Anblick ein wenig erstaunt, doch waren Wut und Erregung bei ihm noch nicht ganz verraucht, so daß ein so zweitrangiges und gänzlich banales Gefühl wie Erstaunen nicht ins Gewicht fiel. Doch wandte er während des Sprechens nicht ein einziges Mal den Blick von ihr. Ich nahm mir vor, bei nächster Gelegenheit, den Grund seines Erstaunens herauszufinden. Sie aber begann das Gespräch mit einer Entschuldigung, die seine gekränkten Gefühle besänftigte: »Natürlich hätte man Sie nicht warten lassen, wäre mein Vater leidlich wohlauf. Mehr noch – hätte ich nicht eben im Krankenzimmer Wache gehalten, als Sie zum erstenmal kamen, hätte ich Sie ohne Verzug empfangen. Würden Sie nun wohl sagen, um was es sich bei dieser dringenden Sache handelt?«
Mit einem Blick zu mir gab er sein Zögern zu erkennen. Sie aber sagte hastig:
»Vor Mr. Ross können Sie unbefangen sprechen. Er besitzt mein vollstes Vertrauen und steht mir in schwerer Zeit zur Seite. Vermutlich ist ihnen nicht bekannt, wie ernst der Zustand meines Vaters ist. Seit drei Tagen ist er weder erwacht, noch hat er Zeichen des Bewußtseins erkennen lassen. Ich mache mir die größten Sorgen um ihn. Leider ist meine Unwissenheit, was meinen Vater und sein Leben betrifft, sehr groß. Ich lebe erst seit einem Jahr bei ihm. Ich habe keine Ahnung, was seine Angelegenheiten angeht. Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind und was Sie mit ihm zu tun haben.«
Das sagte sie mit einem kleinen entschuldigenden Lächeln, konventionell und doch anmutig, als wolle sie ihre völlige Unwissenheit auf die natürlichste Art eingestehen.
Er sah sie eindringlich an. Dann begann er zu sprechen, entschlossen, als hätte er Vertrauen gefaßt:
»Mein Name ist Eugen Corbeck. Ich besitze akademische Grade der Rechte und der Medizin, erworben in Oxford und Cambridge, dazu ein Doktorat der Philologie der Universität London. Ich wurde in Berlin zum Doktor der Philosophie promoviert, habe in Paris ein Doktorat für orientalische Sprachen erworben. Ich besitze noch weitere akademische Grade, Ehrengrade und andere, aber damit will ich sie nicht behelligen. Die genannten mögen Ihnen anzeigen, daß ich mit Diplomen ausreichend gefiedert bin und sogar in ein Krankenzimmer zu fliegen vermag. Schon sehr früh – zum Glück für meine Interessen und Vergnügungen, zum Nachteil meiner Brieftasche – verfiel ich der Ägyptologie. Mich muß wohl
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