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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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lag, eingehüllt in einen undurchdringlichen Schlaf, hatte etwas vom Pathos einer großen Ruine an sich. Der Anblick war für uns nichts Neues, dennoch merkte ich, daß Miß Trelawny wie ich in Gegenwart eines Fremden von neuem bewegt wurde. Mr. Corbecks Miene wurde hart, das Mitgefühl schwand daraus. An seine Stelle trat ein grimmiger, harter Ausdruck, der Übles für jenen kündete, der den Sturz dieses Mächtigen verursacht hatte. Dieser Ausdruck wiederum wurde von Entschlossenheit abgelöst. Die vulkanartige Energie dieses Mannes arbeitete auf eine bestimmtes Ziel hin. Er sah uns alle an, und als sein Blick auf Schwester Kennedy fiel, zuckten seine Brauen unmerklich hoch. Sie hatte den Blick bemerkt und sah nun Miß Trelawny fragend an, die ihrerseits mit einem Blick antwortete. Lautlos ging sie hinaus und schloß die Tür hinter sich. Mr. Corbeck sah nun erst mich an, getrieben von dem natürlichen Impuls des Starken, sich mit einer Frage eher an einen Mann als an eine Frau zu wenden. Eingedenk seiner Höflichkeitspflicht schenkte er ihr einen Blick, ehe er sagte:
    »Erzählen Sie! Wie und wann es anfing!«
    Miß Trelawny sah mich flehend an, und so kam es, daß ich ihm alles berichtete. Die ganz Zeit über stand er reglos da, doch das bronzene Antlitz wurde zu Stahl. Als ich ihm schließlich von Mr. Marvins Besuch und der Generalvollmacht berichtete, erhellte sich seine Miene. Sein Interesse spürend, ließ ich mich über die Bedingungen näher aus, und er sagte:
    »Gut! Jetzt weiß ich wenigstens, wo meine Pflicht liegt!«
    Das vernahm ich mit sinkendem Mut. Diese Worte zu diesem Zeitpunkt schienen meine Hoffnung auf Aufklärung zunichte zu machen.
    »Was soll das heißen?« fragte ich, sehr wohl fühlend, daß meine Frage schwach klingen mußte.
    Seine Antwort bestätigte meine Befürchtungen.
    »Trelawny weiß, was er tut. Er verfolgte in allem, was er tat, immer einen bestimmten Zweck. Diesen dürfen wir nicht vereiteln. Offensichtlich erwartete er, daß etwas pas sieren würde und schützte sich nach allen Richtungen.«
    »Nicht nach allen!« stieß ich impulsiv hervor. »Irgendwo muß es einen schwachen Punkt gegeben haben, sonst läge er nicht hilflos so da!«
    Corbecks Leidenschaftslosigkeit setzte mich in Erstaunen. Ich hatte erwartet, daß ihn meine Äußerung zum Widerspruch reizen würde, doch ließ sie ihn ungerührt. Über sein dunkles Gesicht huschte die Andeutung eines Lächelns, als er zur Antwort gab:
    »Das ist nicht das Ende! Trelawny hat nicht sinnlose Schutzmaßnahmen ergriffen. Zweifellos hat er auch dies oder zumindest die Möglichkeit erwartet.«
    »Wissen Sie denn was er erwartete und vor allem woher?«
    Diese Frage stellte Miß Trelawny.
    Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Nein! Ich weiß nichts. Ich kann nur vermuten…«Er hielt inne.
    »Was vermuten?« Die unterdrückte Erregung in ihrer Frage war der Verzweiflung verwandt. Wieder senkte sich ein stahlharter Ausdruck über das dunkle Gesicht. Doch ließen sein Ton und sein Gehaben Feingefühl und Takt erkennen, als er erwiderte:
    »Glauben Sie mir, ich würde wirklich alles mir Mögliche tun, um Ihnen die Angst zu nehmen. In diesem Fall aber folge ich einer höheren Pflicht.«
    »Welcher Pflicht?«
    »Stillschweigen!« Und sein ausgeprägter Mund schloß sich wie eine stählerne Falle.
    Wir alle verharrten minutenlang im Schweigen. Für die Intensität unserer Überlegungen wirkte sich die Stille positiv aus. Die kleinen Geräusche des Lebens innerhalb und außerhalb des Hauses wirkten nur störend. Als erstes sollte Miß Trelawny das Schweigen brechen. Ich hatte in ihren Augen eine Idee – einen Hoffnungsschimmer aufblitzen gesehen… Doch ehe sie zum Sprechen ansetzte, faßte sie sich:
    »In welcher dringenden Sache wollten Sie mich sprechen, nachdem sie erfuhren, daß mein Vater – nicht zu sprechen sei?«
    Die kleine Pause bewies, daß sie Herr über ihre Gedanken war.
    Die plötzliche Veränderung, die mit Mr. Corbeck vor sich ging, war fast lachhaft. Sein erstauntes Auffahren, das seine eiserne Ungerührtheit fast erschütterte, wirkte wie eine Pantomime. Doch jeder Gedanke an Komödienspiel wurde von der tragischen Ernsthaftigkeit hinweggefegt, mit der er sich seiner eigentlichen Absicht entsann.
    »Mein Gott!« rief er aus, und ließ seine Hand auf den Sesselrücken niedersausen, auf dem sie geruht hatte, eine Geste von solcher Heftigkeit, die allein Aufmerksamkeit erregt hätte. »Das hätte ich völlig

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