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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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ein sehr mächtiger Skarabäus gebissen haben, denn das Leiden befiel mich sehr heftig. Ich zog aus auf Gräberjagd, und es glückte mir damit, einen Unterhalt zu verschaffen und manches zu lernen, das man nicht aus Büchern erfährt. Ich befand mich in einer ziemlichen Ebbe, als ich Ihren Vater kennenlernte, der selbst auf Entdeckungen ging. Seither muß ich sagen, daß ich keine unerfüllten Wünsche mehr kenne. Er ist ein wahrer Förderer der Künste. Ein besessener Ägyptologe könnte sich keinen besseren Auftraggeber vorstellen!«
    Das hatte er mit viel Gefühl vorgebracht. Ich sah mit Freuden, daß Miß Trelawny errötete, als sie das Lob hörte. Ich hingegen konnte nicht übersehen, daß Mr. Corbeck mit seinen Worten irgendwie Zeit gewinnen wollte. Vermutlich wollte er während des Sprechens erkunden, auf welchem Boden er stand, wollte herausbekommen, inwieweit er die zwei ihm fremden Menschen ins Vertrauen ziehen konnte. Wenn ich im nachhinein an seine Worte dachte, wurde mir klar, daß das Ausmaß der Informationen, die er uns zuteil werden ließ, sein wachsendes Vertrauen kennzeichnete.
    »Ich habe mehrmals für Ihren Vater Expeditionen in Ägypten unternommen. Und immer mußte ich feststellen, welches Vergnügen die Arbeit für ihn ist. Viele seiner Schätze – und ich kann Ihnen versichern, daß er sehr seltene Stücke hat – hat er durch mich erlangt, entweder durch eigene Entdeckung oder durch Kauf – oder – oder anderweitig. Ihr Vater verfügt nämlich über ein seltenes Wissen. Manchmal setzt er sich in den Kopf, daß er etwas Bestimmtes finden möchte, von dessen Existenz – falls es noch existiert – er erfahren hat. In diesem Fall wird er es über die ganze Welt verfolgen, bis er es in Händen hat. Auf einer solchen Jagd befand ich mich bis vor kurzem.«
    Da hielt er ganz plötzlich inne, als wäre ihm der Mund verschnürt. Wir warteten ab. Als er schließlich den Faden wieder aufnahm, geschah es mit einer Behutsamkeit, die neu an ihm war und die wohl Fragen unsererseits vorbeugen sollte:
    »Ich darf von meiner Mission nichts verraten – Ziel, Zweck, nichts dergleichen. Das soll zwischen mir und Mr. Trelawny bleiben. Ich bin zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet.«
    Er schwieg still, als wäre es ihm peinlich. Endlich sagte er:
    »Sind Sie sicher, daß Ihr Vater mich heute nicht empfangen kann?«
    Nun war es an ihr, verwundert zu sein. Doch dieser Ausdruck schwand sofort. Sie stand auf und sagte in einem Würde und Anmut vereinigenden Ton:
    »Kommen Sie und sehen Sie selbst!«
    Sie ging voraus zum Zimmer ihres Vaters, er folgte ihr, während ich den Schluß bildete.
    Mr. Corbeck betrat das Krankenzimmer, als würde er es kennen. Gerät jemand in eine für ihn neue Umgebung, so ist es seiner Haltung und seinem Gehaben anzusehen, doch dieser Mann hier sah sich hier um, als wäre ihm der Raum vertraut, ehe seine Aufmerksamkeit von dem Kranken in Anspruch genommen wurde. Ich beobachtete ihn ganz genau, weil ich das leise Gefühl hatte, dieser Mann könne Licht in die dunkle Angelegenheit bringen, in die wir alle verwickelt waren.
    Nun war es beileibe nicht so, daß ich ihm nicht traute. Nein, dieser Mann war von glasklarer Aufrichtigkeit. Aber eben diese Eigenschaft war es, die wir zu fürchten hatten. Er verfolgte sein Ziel mit einer so tapferen und unbeirrbaren Wahrhaftigkeit, daß er, falls er es als seine Pflicht ansah, ein Geheimnis zu hüten, es nie preisgeben würde. Der vorliegende Fall war, gelinde gesagt, außergewöhnlich, und würde folglich eine gelockerte Pflichtauffassung von Geheimhaltung erfordern, als es unter normalen Umständen nötig war. Für uns war Nichtwissen gleichbedeutend mit Hilflosigkeit. Wenn es uns glückte, etwas aus der Vergangenheit zu erfahren, dann würde es uns vielleicht möglich sein, die dem Überfall vorausgehenden Umstände zu erahnen. Vielleicht gab es Kostbarkeiten, die man entfernen sollte… Meine Gedanken gerieten abermals in einen Strudel. Ich rief mich zur Räson und faßte erneut Mr. Corbeck ins Auge. Das sonnengebräunte, zerfurchte Gesicht zeigte einen Ausdruck unendlichen Mitgefühls, als er seinen Freund so hilflos daliegen sah. Die Strenge der Miene Mr. Trelawnys hatte sich im Schlaf nicht gemildert, doch irgendwie kam damit die Hilflosigkeit noch mehr zur Geltung. Ein schwaches oder gewöhnliches Gesicht unter diesen Bedingungen zu sehen, hätte einen nicht weiter berührt. Doch dieser zielstrebige, beherrschende Mann, der da vor uns

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