Die sieben Finger des Todes
Worten, den Königin Tera im Sarkophag mit ihrer Hand deckte, sollte ein wichtiger Faktor – wahrscheinlich der wichtigste überhaupt – für das Gelingen ihrer Wiederauferstehung sein. Das sagte mir von allem Anfang an mein Instinkt. Ich bewahrte den Stein in meinem großen Safe auf, von wo niemand ihn entwenden konnte, nicht einmal Königin Tera selbst mittels ihres Astraleibs.«
»Astralleib? Was ist das, Vater?« Die Neugierde in Margarets Stimme überraschte mich. Aber Trelawnys väterlich-nachsichtiges Lächeln erhellte seine ernste Miene wie ein Sonnenstrahl, als er antwortete:
»Der Astralleib, ein Begriff aus dem viel später entstandenen Buddhismus, und im modernen Mystizismus als Tatsache anerkannt, hat seinen Ursprung im alten Ägypten – man nimmt es jedenfalls an. Er bedeutet nichts anderes, als daß ein Individuum kraft seines Willens seinen Leib blitzschnell an jeden beliebigen Ort versetzen kann, und zwar durch Auflösung und Reinkarnation der einzelnen Partikel. Die Alten glaubten, das Wesen des Menschen setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Ich will sie Ihnen erklären, damit alles, was damit zusammenhängt verständlicher wird.
Als erstes wäre da das »Ka«, oder »Ebenbild«, das man nach Doktor Budge definieren könnte als »abstrakte Individualität der Persönlichkeit«, durchdrungen von allen charakteristischen Attributen des Individuums, das es darstellte, und im Besitz einer völlig unabhängigen Existenz. Es konnte sich nach Belieben von einem Ort zum anderen bewegen, und es konnte sogar in den Himmel eindringen und mit den Göttern reden. Sodann gab es das »Ba« oder die »Seele«, die im »Ka« wohnte, und die Macht hatte, nach Belieben körperlich oder unkörperlich zu erscheinen. »Es besaß sowohl Substanz als auch Gestalt… es besaß die Macht, das Grab zu verlassen… es konnte den Leib in der Gruft besuchen… konnte ihn wieder auferstehen lassen und mit ihm Zwiesprache halten.« Als nächstes gab es das »Khu«, die »Intelligenz des Geistes« oder den Geist schlechthin, der als leuchtende, nicht greifbare Körpergestalt beschrieben wird… Sodann das »Sekhem« oder die »Kraft« eines Menschen, seine personifizierte Stärke oder Vitalkraft. Es fehlen noch das »Khaibit« oder der »Schatten«, das »Ren« oder der »Name«, das »Khat« oder der physische Leib, sowie »Ab«, das »Herz«, der Sitz des Lebens.
Sie sehen daher, daß diese Unterteilungen von geistigen und körperlichen Funktionen, psychischen und physischen, ideellen und wirklichen, als Tatsache angesehen wurden, und daß dadurch alle Möglichkeiten und Fähigkeiten körperlicher Transferenz gegeben waren, stets gelenkt von einem nicht einzugrenzenden Willen.
Als er eine Pause machte, sagte ich halblaut die Verse aus Shelleys »Entfesseltem Prometheus« vor mich hin:
»Der große Zarathustra, lustwandelnd einst im Garten, traf auf sein eigen Abbild…«
»Da wäre noch eine religiöse Sitte des alten Ägypten, die für uns von Bedeutung ist. Jene nämlich, die Ushapti-Figuren der Osiris betreffend, die man den Toten ins Grab mitgab, damit sie im Jenseits ihre Wirkung taten. Die Weiterführung dieser Vorstellung mündete in dem Glauben, daß es mittels magischer Formeln möglich wäre, Seele und Eigenschaften eines jeden Lebewesens einer als Abbild geformten Figur zu übertragen. Damit wäre demjenigen, der über diesen Zauber gebot, eine schreckliche Macht in die Hand gegeben.
Aus einer Verbindung dieser verschiedenen Richtungen und ihren Folgerungen bin ich zu dem Schluß gelangt, daß Königin Tera damit rechnete, ihre eigene Wiederauferstehung wann, wo und wie es ihr beliebte, in Szene zu setzen. Daß sie sich dafür einen bestimmten Zeitpunkt vornahm, ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Nähere Erklärungen spare ich mir in diesem Punkt für später auf. Mit einer Seele, die bei den Göttern weilte, mit einem Geist, der nach Belieben über die Erde wandeln konnte, mit der Kraft körperlicher Transferenz oder einem Astralleib ausgestattet, waren ihrem Streben keine Grenzen gesetzt. Es drängt sich einem der Gedanke auf, daß sie die vergangenen vierzig oder fünfzig Jahrhunderte schlafend in ihrer Gruft verbrachte – und wartete. Sie wartete mit jener »Geduld«, mittels der sie die Götter der Unterwelt beherrschen konnte, auf die »Liebe«, mittels der sie jene der Oberwelt in der Gewalt hatte. Wie ihre Träume aussehen mochten, das wissen wir nicht. Doch muß ihr Traum eine
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