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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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als ihre Umgebung. Von einem anderen Land, weit, weit weg unter dem Baldachin der schweigenden Nacht, erhellt vom kühlen, schönen Licht der Sterne. Von einem Land unter dem Stern des Nordens, von wo die süßen Winde wehen, die kühlend über die fieberheiße Wüste wehen. Ein Land, mit köstlichem Grün bewachsen, in weiter, weiter Ferne. Dort, wo es keine ränkeschmiedende, böswillige Priesterschaft gibt, die durch düstere Tempel und noch düsterere Grabhöhlen und durch endlose Todesrituale ihre Vorstellungen von Macht durchsetzen wollen! Ein Land in dem die Liebe nicht als minder galt, sondern als göttliches Erfülltsein der Seele! Wo sie einen verwandten Geist zu finden hoffte, der zu ihr mit menschlichen Lippen, ihren eigenen gleich, sprechen würde; dessen Sein sich mit dem ihren in einer süßen Seelengemeinschaft finden würde, so wie ihr Odem sich in der sie umgebenden Luft vermengen konnte! Ich kenne das Gefühl, denn ich habe es erlebt. Und ich darf jetzt davon sprechen, seit dieses Glück in mein Leben trat. Ich darf davon sprechen, da es mich befähigt, die Gefühle, die sehnsuchtsvolle Seele dieser süßen, holden Königin zu begreifen, die sich von ihrer Umgebung so unterschied und ihrer Zeit so weit voraus war! Deren Wesen, in einem Wort zusammengefaßt, die Mächte der Unterwelt beherrschte, und deren Ziel, in einen sternerhellten Edelstein als Wort geritzt, allen Mächten im Pantheon der Hohen Götter befehligte.
    Und in der Verwirklichung des Traumes wird sie zufrieden ruhen!«
    Wir Männer saßen stumm da, während das junge Mädchen das Streben und das Ziel der Frau aus alter Zeit verdeutlichte. Ihr Tonfall, ja jedes einzelne Wort war mit ihrer ureigensten Überzeugung befrachtet. Ihre hochgespannten Gedanken hoben uns alle, die wir lauschten, empor. Ihre hehren Worte, in musikalischen Kadenzen geäußert und vor innerer Kraft vibrierend, schienen einem mächtigen Instrument elementarer Kraft zu entspringen. Sogar ihr Ton war uns allen neu, so daß wir ihr zuhörten, als wäre sie ein neues, ein fremdes Wesen aus einer neuen und fremden Welt. Das Antlitz ihres Vaters drückte schieres Entzücken aus. Und ich kannte jetzt den Grund. Ich begriff, welches Glück in sein Leben getreten war nach seiner Rückkehr in die Welt, die er kannte, nach jenem langen Verweilen in der Welt der Träume. In seiner Tochter, deren Wesen ihm bislang unbekannt geblieben war, einen solchen Gefühlsreichtum zu finden, einen Reichtum an geistigen Einsichten, so viel gelehrte Vorstellungskraft, so viel… Nun, alles Weitere blieb der Hoffnung überlassen!
    Die zwei anderen Männer schwiegen. Der eine hatte seinen Traum geträumt, für den anderen stand er noch bevor.
    Was, mich betraf, so fühlte ich mich wie in Trance. Wer war dieses neue, strahlende Wesen, das aus Dunst und Finsternis unserer Ängste zur Existenz erwacht war? Liebe besitzt göttliche Fähigkeiten für das Herz des Liebenden! Die Schwingen der Seele entsprießen den Schultern des geliebten Wesens, das daraufhin Engelsgestalt annimmt. Ich ahnte, daß im Wesen meiner Margaret göttliche Eigenschaften mancher Art schlummerten. Als ich damals im Schatten der überhängenden Weide am Fluß in die Tiefen ihrer schönen Augen geblickt, war in mir der feste Glaube an die mannigfache Schönheit und Vorzüge ihres Wesen erwacht. Doch dieser versengende und alles verstehende Geist bedeutete für mich eine Offenbarung. Mein Stolz wuchs wie bei ihrem Vater über mich selbst hinaus, meine Freude, meine Verzückung waren vollkommen und nicht zu überbieten. Nachdem wir alle wieder – jeder auf seine Weise – auf dem festen Boden der Wirklichkeit standen, fuhr Mr. Trelawny, die Hand seiner Tochter festhaltend, in seinen Ausführungen fort:
    »Und nun zu dem Zeitpunkt, den Königin Tera für ihre Auferstehung vorgesehen hatte! Wir haben es hier mit astronomischen Berechnungen komplizierter Art in Verbindung mit echten Richtungsangaben zu tun. Wie Sie wissen, verändern die Sterne ihre relativen Positionen am Himmel. Während aber die tatsächlichen Entfernungen über das normale Vorstellungsvermögen hinausgehen, sind die von uns wahrgenommenen Wirkungen nur gering. Dennoch sind sie meßbar, nicht nach Jahren, sondern nach Jahrhunderten. So war es möglich, daß Sir John Herschel auf das Datum der Erbauung der Großen Pyramide kam – ein Datum, das sich durch die Zeitspanne ergibt, die vergehen mußte, bis der Stern des wahren Nordens sich von Draco zum

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