Die sieben Häupter
zwischen den hohen Tannen entlang, in denen der Wind sang. Irgendwo klopfte ein Specht.
Ludger betrachtete seinen Begleiter verstohlen aus demAugenwinkel. Thaddäus von Hildesheim hatte die stämmige Statur und das rotwangige Gesicht eines Bauern, aber davon durfte man sich nicht täuschen lassen. Wie Ludger selbst war er Sproß eines Rittergeschlechts, außerdem war er ein weitgereister Mann und neben Ludgers Onkel Eike mit Sicherheit der größte Gelehrte im Gefolge des Grafen. Er diente ihm als politischer Berater, war der geistliche Beistand der Familie und unterrichtete die gräflichen Sprößlinge. Er war nicht nur Benediktiner, sondern auch Priester und hatte einige Jahre in Rom verbracht, ehe er dem Aufruf des Papstes gefolgt und zur Niederwerfung der Ketzer nach Südfrankreich gezogen war, wo er, so hatte Onkel Eike gehört, bei der Abschlachtung der Ungläubigen gelegentlich selbst mit Hand angelegt hatte. Schließlich war er in die Heimat zurückgekehrt und hatte am erzbischöflichen Hof in Magdeburg einen kometenhaften Aufstieg genommen, der jedoch ein jähes Ende fand, als er sich mit dem Erzbischof überwarf. Es war gewiß kein Zufall, daß er anschließend in den Dienst des Grafen getreten war, denn ihr Haß auf den Erzbischof machte sie zu Verbündeten.
»Wollt Ihr bis in meine Seele blicken, daß Ihr mich so lange anschaut?« fragte Thaddäus schließlich.
Ludger wandte hastig den Kopf ab und biß sich auf die Lippen. Er war sicher gewesen, seine heimliche Inspektion sei unbemerkt geblieben. »Ich bitte um Vergebung, Vater. Ich … mußte daran denken, wo Ihr schon überall gewesen seid und was Ihr alles erlebt haben mögt.«
»Seid Ihr etwa reiselustig, mein junger Freund?«
»Ja«, gestand Ludger ein wenig verlegen und fügte rasch hinzu: »Versteht mich nicht falsch. Ich bin gern im Dienst des Grafen. Das Leben hier ist besser und … geistvoller, als ich es mir je hätte träumen lassen. Aber manchmal frage ich mich, wie es wohl wäre, richtige Berge zu sehen. Oder eine fremde Sprache zu hören.«
»Nun, dafür bräuchtet Ihr nur nach Thüringen zu wandern«, warf Thaddäus trocken ein.
Ludger lachte. Es war ein Lachen reinen Frohsinns, das sich in den blaßblauen Frühlingshimmel erhob und mit dem Gezwitscher der Vögel vermischte. Er erinnerte sich später so genau an diesen Moment, weil es das letzte Mal war, daß er sich unbeschwert fühlte.
»Ihr müßt mich für einen hoffnungslosen Träumer halten«, mutmaßte er.
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Es ist ganz natürlich, daß ein junger Heißsporn wie Ihr die Welt erkunden will. Im übrigen trifft es sich ausgesprochen gut, daß Euch die Wanderlust gepackt hat.«
»Wieso?« fragte Ludger verwundert.
»Dazu kommen wir noch.« Plötzlich klang der Geistliche sehr geschäftsmäßig. Er streckte eine rundliche Hand aus und wies nach rechts. »Da vorn ist eine Lichtung. Laßt uns dorthin reiten. Sie bietet Schutz vor dem Wind und ein wenig Sonne.«
Ludger folgte ihm wortlos. Eine eigentümliche Unruhe mischte sich in seine Neugierde.
Die Lichtung war mit Gras und braunem Farn vom Vorjahr bedeckt, und in der Mitte lag ein stiller Tümpel. Am Ufer saßen sie ab, Thaddäus reichte Ludger die Zügel seines Wallachs, und der junge Ritter band die Tiere an einen kleinen Holunderbaum, der schon erste, zarte Blätter zeigte.
Vater Thaddäus verfolgte versonnen den Flug einer Krähe, die schließlich am Rand der Lichtung auf einem Ast landete, ehe er die Arme verschränkte und bemerkte: »Ihr seid ein heller Kopf, Ludger von Repgow, nicht wahr? Darum wird es Euch nicht überraschen, wenn ich Euch sage, daß dieser Ausritt keine eitle Laune war.«
»Es überrascht mich nicht«, bestätigte Ludger.
»Mir lag daran, daß wir ungestört sind, denn es ist eine delikate Angelegenheit, die ich mit Euch zu erörtern habe. Oder genauer gesagt, mehrere delikate Angelegenheiten.«
Ludger spürte seine Hände feucht werden, aber er bemühte sich nach Kräften, sich nichts von seiner Nervosität anmerken zu lassen. »Ich bin ganz Ohr, Vater.«
»Ich möchte Euch auf eine kleine Reise schicken. Vorerst leider nicht in die Fremde, sondern erst einmal nach Hause, aber ich bin nicht sicher, ob Repgow schon das Ziel Eurer Aventiure sein wird, versteht Ihr?«
»Um ehrlich zu sein, nein.«
»Nun, das werdet Ihr gleich. Der Graf hat sein Einverständnis gegeben, daß ich Eure Dienste ein Weilchen in Anspruch nehme, denn diese Sache liegt vor allem in
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