Die siebte Gemeinde (German Edition)
ist das mit Ihnen und dieser Sekretärin?«, fragte Emma auf der Treppe. »Dieser Frau, äh …?«
»Wer? Frau Kirchner?«, lachte Elias.
»Ja, genau, Frau Kirchner. Die scheint Sie wahnsinnig gut leiden zu können. Ich habe auf diese Art nur mit meiner Oma telefoniert.«
»Tja, so ist sie, die Frau Kirchner. Die gute Seele der Uni könnte man sagen. Sie weiß über alles und jeden hier Bescheid und mischt sich ganz gerne in Ihr Privatleben ein. Ob Sie wollen oder nicht.« Er grinste Emma hämisch an. »Machen Sie sich auf etwas gefasst. Sie werden sie ja gleich am eigenen Leib zu spüren bekommen.«
Im zweiten Stock des Philosophikums bogen sie in einen Flur ein. Nach ein paar Metern blieb Elias vor einer Tür stehen und klopfte leise an. »Kommen Sie herein, Elias«, hörten sie eine markante Frauenstimme. Emma schaute verdutzt ihren Begleiter an. »Fragen Sie lieber nicht«, winkte er schmunzelnd ab. »Das habe ich früher schon nie verstanden.«
Elias öffnete die Tür und trat in das Büro. Emma folgte ihm schüchtern.
Am anderen Ende des Zimmers lächelte ihnen eine kleine kräftige Frau mit hochtoupierter Frisur entgegen. Emma schätzte sie auf Ende fünfzig. Ihre Haare waren tiefschwarz gefärbt und ließen ihr speckig rundliches Gesicht ausnehmend blass aussehen. Sie trug eine riesige Brille mit enormer Sehstärke. Emma glaubte, niemals zuvor ein größeres Modell gesehen zu haben. Frau Kirchners Augen wirkten hinter dem monströsen Gestell wie zwei vergrößerte Kuhaugen.
Die Sekretärin war umringt von einer Horde Grünpflanzen, und es sah aus, als wäre sie die Wächterin zum Tor in den Urwald. Angefangen von Yuccapalmen und üppigen Benjaminis, bis hin zu Gummibäumen und eleganten Elefantenfüßen war alles vorhanden, was ein Botanikerherz hochschlagen ließ. Zur Krönung des Ganzen standen links und rechts auf den Kanten des Schreibtisches zwei prächtig gewachsene Farne. Wie Lockenköpfe warfen sie ihre grünen Strähnen über die Tischkante hinweg, bis hinunter auf den beigefarbenen Teppichboden.
»Elias! Wie schön, Sie zu sehen«, strahlte Frau Kirchner und sprang von ihrem Stuhl auf. Geschickt zwängte sie sich an den Pflanzen vorbei, um beide zu begrüßen. »Ach, und Ihre Freundin haben Sie mitgebracht.« Pfeifend blickte sie an Emma auf und ab. »Ich hatte ja immer gewusst, dass Sie einen guten Geschmack haben, Elias.« An Emma gerichtet fuhr sie plaudernd fort. »Er hat sich früher immer etwas zurückgehalten, müssen Sie wissen. Mit einer Freundin habe ich ihn bisher nie gesehen. Dabei ist er so ein reizendes Kerlchen.«
»Ich ... ich muss Sie enttäuschen, Frau Kirchner«, stammelte Elias peinlich berührt. »Das ist nicht meine Freundin.«
»Emma Kemmerling«, lächelte Emma und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Frau Kirchner. Ich bin die Steuerberaterin von Herrn Seydel. Wir sind beruflich unterwegs.«
»Also, in der Art, wie sie beide die Tür hereingekommen sind, hätte ich schwören können, dass sie ein Pärchen sind.« Sie winkte lässig ab. »Na ja, was nicht ist, kann ja noch werden.«
»Ist Herr Heinrich denn nicht in seinem Büro?«, versuchte Elias, aus der Situation herauszukommen.
»Belästigt dich Hiltrud wieder mit ihrem privaten Kram?« Von allen unbemerkt hatte sich die Verbindungstür des Sekretariats geöffnet, und ein Mann mit vollem braunen Haar, einer modischen Sportbrille, verblichenen Jeans und einem roten Poloshirt stand lässig im Türrahmen und strahlte über das ganze Gesicht.
»Gustav!«, rief Elias und ging mit offenen Armen auf ihn zu. »Mensch, das muss jetzt ungefähr ein Jahr her sein, als wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
»Ein Jahr, einen Monat und zehn Tage, um genau zu sein«, nickte Gustav Heinrich und begrüßte Elias mit einer brüderlichen Umarmung.
Elias schaute ihn verdutzt an und überlegte einen Moment.
»Zuletzt an meinem sechzigsten Geburtstag«, half ihm Professor Heinrich auf die Sprünge. »Ehrlich gesagt, bin ich ein bisschen enttäuscht von dir.«
Elias schlug sich gegen seine Stirn. »Natürlich! Oh, das tut mir leid, Gustav.« Ein verschmitztes Lächeln zog sich über sein Gesicht. »Ist wohl etwas spät, jetzt noch nachträglich zum 61. zu gratulieren, was?«
»Erst vergisst du mich über ein Jahr und wirst obendrein noch frech«, lachte der Professor und schaute zu Emma. »Und wen hast du Hübsches mitgebracht?« Er ging auf Emma zu und begrüßte sie mit einem
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