Die siebte Gemeinde (German Edition)
Mahagonitisch hinweg. »Schließlich haben die Operationen eine Menge Geld gekostet, und wahrscheinlich steht im kommenden April noch eine weitere vor der Tür. Ich habe da nämlich …«
Bevor Frau Steckel den Satz beenden konnte, drang das sonst so verhasste Klingeln des Telefonapparates durch den Raum.
»Oh, das ist wichtig«, log Emma mit ernster Miene und hob unverzüglich den Hörer ab.
»Kanzlei Carl, Menner & Schmitt, Sie sprechen mit Emma Kemmerling. … Ja, kleinen Augenblick bitte.«
Emma legte den Hörer beiseite, erhob sich von ihrem Stuhl und streckte Frau Steckel lächelnd ihre Hand entgegen. »Das könnte länger dauern, Frau Steckel, aber wie gesagt, ich melde mich bei Ihnen, sobald die Erklärung fertig ist.« Freundlich schüttelte sie der Seniorin die Hand und schob sie galant zur Tür hinaus. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag!«
Zurück an ihrem Schreibtisch, nahm Emma den Hörer wieder auf.
»Mensch Ellen, Schwesterherz«, sagte sie erleichtert. »Eigentlich sollst du mich in der Kanzlei ja nicht anrufen, aber diesmal hast du mir echt das Leben gerettet.«
Das Gespräch mit ihrer Schwester, in dem es wieder einmal um eine verlorene Liebe ging, war nach zehn Minuten beendet, und Emma konnte sich dem Tagesgeschehen widmen. Ihr Blick fiel auf eine Holzkiste, die vollgestopft mit Ordnern neben ihrem Schreibtisch stand. Es handelte sich um die Unterlagen des Antiquitätenhandels ›Seydel & Seydel‹, die dort seit knapp zehn Tagen ruhten und bisher keinen Zentimeter fortbewegt wurden. Eine Aufgabe, die sie von ihrem Kollegen, Patrick Gerdes, übernehmen musste, da er überraschend beim Joggen ums Leben gekommen war. Die Todesursache hatte man ihnen nicht verraten, die Gerüchte in der Kanzlei gingen jedoch vom Genickbruch aufgrund eines Sturzes bis hin zum Herzinfarkt.
Emma lief ein Schauder über den Rücken, als sie über die Beerdigung Anfang der Woche nachdachte. Die junge Familie wurde so früh auseinandergerissen. Emma bewunderte die Stärke, die Patricks Witwe während der Trauerfeier aufgebracht hatte. Stolz und erhaben hatte sie keine Miene verzogen, während sie hunderte kondolierende Hände schütteln musste. Emma zollte ihr Respekt, vor allem, dass sie es ihrem Sohn erspart hatte, an der emotionalen Zeremonie teilzunehmen. Beerdigungen waren nichts für Kinder.
Bis sich ein Ersatz für Patrick gefunden hatte, mussten seine dringendsten Terminaufgaben nun an die Kollegen verteilt werden. Emma hatte den Antiquitätenladen der Seydels aufs Auge gedrückt bekommen. Sie musste Patrick bereits im vergangenen Jahr aushelfen. Da war es für die Chefs selbstverständlich, dass sie dies übernahm. Sie zuckte resigniert mit den Schultern. Irgendwann musste sie mit dieser ungeliebten Arbeit beginnen. Der Termin für die Abgabe stand unmittelbar bevor. Fünf Tage blieben ihr noch. Da nutzte auch kein Hadern über das komplizierte Ablagesystem der Seydels. Entschlossen griff sie den ersten Ordner aus der Holzkiste und warf ihn krachend vor sich auf den Tisch. Eine silbrige Staubwolke schnellte in die Höhe und stieg ihr unvermittelt in die Augen.
»Bäh«, prustete Emma, wischte sich das Kribbeln aus dem Gesicht und schüttelte ihre dunkelblonden schulterlangen Haare. »Wo zum Teufel haben die Seydels diese Kiste her?«
Schnuppernd streckte sie ihre Nase über den Holzkasten. Er roch modrig und abgestanden. An den Seiten baumelten zerrissene Spinnweben herab und Wasserflecken zogen sich über die verwitterten Bretter. Emma schüttelte verständnislos ihren Kopf. »Eine einfache Plastikkiste wäre für einen Antiquitätenhandel auch nicht standesgemäß gewesen.«
Etliche Ordner später klopfte es leise an ihrer Bürotür. Ohne ein »Herein« abzuwarten, steckte Christoph Schiebel grinsend seinen braunen Lockenkopf durch die Tür.
»Huhu, Emma!«, flötete er in den Raum und tippte ausholend auf seine Armbanduhr. »Komm, es geht los. Die Alt-Vorderen bitten zur Audienz!«
Christoph Schiebel war wie Emma einer der Jung-Steuerberater der Kanzlei ›Carl, Menner & Schmitt‹ und mit seinen 33 ein Jahr älter als sie.
»Ups, ist es schon fünfzehn Uhr?«, fragte sie entsetzt. »Die Konferenz mit den Chefs habe ich total vergessen.« Sie tippte fahrig gegen ihren Bildschirm. »Einen kleinen Augenblick brauche ich noch. Ich schreibe schnell meine E-Mail an Elias Seydel fertig und komme sofort nach.«
»Sag bloß, du hast mit dem Antiquitäten-Fuzzi endlich begonnen?« Christoph lachte
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