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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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sein, als hier? Und was werden die Alten dumm gucken, wenn die sehen, dass ihre dumme Gans ausgeflogen ist und alles was sie kriegen ist Hundsfotze!, sinniert Mäu voller Ingrimm auf ihre Eltern. Je mehr sie über alles nachdenkt, desto stärker fühlt sie sich durchdrungen von trotziger Lebensfreude. Ihr neues Vorhaben und die Aussicht auf Entrinnen geben ihr auf einmal Kraft und Auftrieb. Sie wird es ihnen zeigen und dieses eine Mal nicht die Dumme sein! Von nichts und niemanden mehr wird sie sich aus der Ruhe bringen lassen und allen zum Trotz ihren Plan umsetzen. Das gelobt sie sich inbrünstig. Sie darf sich nur nichts anmerken lassen. Muss so sein, wie immer. Die dumme Gans eben, der man jeden Dreck aufhalst und die nicht murrt. Gut, und wenn das Trampel mich nachher noch mal wegen dem blöden Siechenessen anspricht, werde ich so tun, als wär’ ich in mich gegangen …
    Andererseits: Vor dem Aussätzigen graust es sie wirklich! Aber sie glaubt auch daran, dass jeder Mensch einen Schutzengel hat, der unsichtbar hinter ihm geht und steht und ihn vor großer Gefahr beschützt. Sie blickt auf zu dem kleinen, bunten Glasbildchen, das über ihrer Schlafkoje an der Wand hängt. Ihre Muhme hat es ihr geschenkt, als Mäu noch ein kleines Mädchen war. Es zeigt einen wunderschönen Engel mit weißen Schwanenflügeln und goldenem Lockenhaar. Mäu kennt jede Einzelheit des Bildes, so oft hat sie es sich vor dem Einschlafen angesehen, wenn sie still gebetet hat. Etwas Schöneres hat sie nie gesehen. Das feine, zartrosane Gewand des Engels, das von einer hellgrünen Stola umgeben ist. Und um sein Haupt kreist ein funkelnder Sternenreif. Am schönsten aber ist das Gesicht. Es ist so fein, so heilig, wie das von der Muttergottes in St. Bartholomäus. Der Engel schwebt hinter einem kleinen Mädchen und geleitet es sicher über einen schadhaften Holzsteg, der über einen wilden, reißenden Bergbach führt.
    „So helf mir auch weiter, mein Schutzengel Du!“, denkt sie und lächelt noch dem Engel zu, als sie die typischen Aufstehgeräusche aus der Schlafkoje ihrer Eltern vernimmt. Die schäbige Hütte ist mit einem Mal erfüllt von den ersten Sonnenstrahlen, die Mäu im Gesicht kitzeln.
    Sie muss niesen.
    Ein Gruß von meinem Engel, denkt sie. Also, auf in den Kampf!

 
3. Das Einstandsessen
     
     
     
    Und wie es so ist, selbst nach den schlimmsten Schicksalsschlägen: Das Leben geht weiter und hat ihn schließlich hierher verschlagen, auf den Gutleuthof. Und heute wird er es sogar feiern, dass er einer von ihnen geworden ist, ein Aussätziger unter Aussätzigen, ausgesetzt weit draußen in dieser Einöde. Grund genug also, ein Festmahl zu geben. Kein Festmahl! – Eine Fressorgie wird es werden, für all die Scheintoten hier drinnen. Die verstümmelten Kadaver sollen sich mästen mit all den Schinken, Perlhühnern, Wildpasteten und Braten! Ihm kann es nun ja egal sein, sein Geld muss er nicht mehr zusammenhalten, wie er es sein ganzes Leben lang getan hat. Er hat genug davon angehäuft, nun soll es endlich fließen, fließen – und wenn es auch den Bach runter fließt! Seine Leute, die zu Hause in seinem behaglichen Stadthaus sitzen, es sich wohl ergehen lassen und die reifen Früchte seines Geschäftes ernten, das er durch ein Leben voller Arbeit zum Blühen gebracht hat, sollen es jedenfalls nicht bekommen! Für sie gilt er als tot, verbannt ins Reich der Toten, weit abgesondert von der Welt der Gesunden. Sie haben ihn durch ein rituelles kirchliches Begräbnis, gleichsam wie einen bereits Verstorbenen, mit Glanz und Gloria aus der freien Reichsstadt zu Frankfurt am Main ausgesegnet. Seitdem existiert er nur noch in der Gemeinschaft der maladen Leut. Keiner von seiner Familie, weder sein Eheweib noch seine Söhne, war bereit, ihn hierher zu begleiten und dieses Schattendasein mit ihm zu teilen. Diese Treulosigkeit schmerzt ihn mehr als seine schreckliche Krankheit. Gut, den Söhnen will er es noch nachsehen, sie werden die Geschäfte weiterführen, und dazu müssen sie mitten im Leben stehen, aber Hildegard, mit der er nahezu drei Jahrzehnte verheiratet war, die durch ihn Reichtum und Wohlleben erfahren durfte und an seiner Seite stolz als Senatsgattin einherging, die hat ihn schmählich enttäuscht! Lieber will sie ins Kloster gehen und bis ans Ende ihrer Tage für sein Wohlergehen beten, als ihm hierher zu folgen. Aber auf seine Kosten werden sie jetzt nicht mehr leben! Seine jährliche Leibrente, die ihm aus seinem

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