Die Siechenmagd
nicht zu sein“, erwidert die Mutter auf Mäus Wortlosigkeit hin.
„Na red schon, was ist? Mit dem Geld kannst du doch mal was beginnen. Was hast du denn sonst? Rackerst dich für den Alten ab für nix und wieder nix, für kein Geld und kein gutes Wort. Das, was du bei den Feldsiechen verdienst, gehört dir! Du brauchst daheim nur dein Kostgeld abgeben, mehr nicht.“
Mäu räuspert sich und setzt an, mit vor Aufregung zitternder Stimme zu sprechen: „Mudder, ich will da nicht hin und ich will auch keine Siechenmagd werden! Egal wie viel Geld ich verdienen kann, ich will es nicht! Und ich möchte auch am Samstag nicht mitkommen. Da krieg ich eh nix runter bei denen!“
Die Mutter hat einen roten Kopf bekommen und knallt voller Wut ein Wäschestück auf die Böschung.
„Du undankbares Mensch! Da will man dir gut und du zierst dich wie die Gräfin Rotz! Verdammt nochmal, ich bin mir auch nicht zu fein, dem Knobloch den Knuddel zu machen! Glaubst du vielleicht du bist was Besseres? Meinst du, ich hätte keine Angst, mich anzustecken? Aber dann sag ich mir, bloß nicht dran denken, denn die erwischt es zuerst, die Angst haben. Die keine Angst haben, werden nie krank. Das siehst du am Schellenknecht * , der schon seit zwanzig Jahren auf dem Hof ist und sich nie angesteckt hat. Lass dir doch nochmal alles durch den Kopf gehen. Und am Samstag kommst du mit, das ist jetzt so ausgemacht und es bleibt auch dabei.“
Mäu sagt nichts mehr und macht sich an die Arbeit. Auch die Mutter bearbeitet schweigend die Wäschestücke bis es zu dämmern beginnt. Dann tragen sie den schweren Wäschekorb gemeinsam bis zu einer kleinen Wiese vor der Abdeckerei, auf der sie die sauberen Wäschestücke zum Trocknen und Bleichen ausbreiten.
Nach einer Weile des Schweigens wendet sich die Mutter Mäu zu und streicht ihr über den Kopf.
„Komm, sei net so stur und überleg dir noch mal alles“, appelliert sie einlenkend an die Tochter.
Mäu liegt zusammengerollt in ihrer Schlafkoje. Seit einigen Stunden schon ist sie wach und kann keinen Schlaf mehr finden. Es beginnt bereits zu dämmern. Bald schon wird sie aufstehen müssen, um ihr übliches Tagwerk zu beginnen: Den Haferbrei zubereiten, die Stube putzen, die Gerätschaften des Vaters reinigen, Wäsche flicken, den Hof fegen und manches mehr. Während ihrer Schlaflosigkeit hat sie viel nachgedacht. Über den netten Flugblatthändler, den sie gestern auf dem Galgenfest kennen gelernt hat. Sie beneidet ihn um sein freies, unabhängiges Leben. Er sieht etwas von der Welt und erfährt unterwegs die ganzen Neuigkeiten und spannenden Geschichten, die er aufschreibt, drucken lässt und dann den Leuten verkündet. Und wie der vortragen kann! Stundenlang könnte sie ihm zuhören. Ist schon was wert, wenn einer lesen und schreiben kann. Wie gerne würde sie das auch können. Schön wäre es, mit ihm über die Lande zu ziehen und es von ihm zu lernen! Am liebsten wäre sie ja gestern einfach mit ihm weiter marschiert. Nach Mainz wollte er, um sich dort mit frisch gedruckten Flugblättern zu versorgen. Wie das wohl geht, das Drucken? Und diese Flugblätter mit den vielen kleinen Buchstaben. Fast wie Zauberei: Wenn jemand lesen kann, dann erfährt er die Geschichten, die hinter den Buchstaben stehen. Na ja, er hat ihr auch gut gefallen, der schlaue Albert, und was war er so freundlich mit ihr. Er hat sie behandelt, als war sie ein anständiger Mensch und keine von den verfemten Leuten. Vielleicht trifft sie ihn ja, wenn er mal wieder nach Frankfurt kommt. Er hat gesagt, zu den Messen kommt er immer…
Und hier daheim, das ist doch alles Essig! Für die Eltern ist sie doch nur eine billige Magd, mehr nicht. Jetzt soll sie auch noch für diesen Siechen schuften! ,Für gutes Geld!‘ – Ja, und wie! Und die Eltern sacken davon das meiste ein. Aber naja, die Mägde verdienen gut auf dem Gutleuthof und vielleicht kann sie sich davon etwas weglegen. Etwas weglegen, um sich dann endlich von hier zu verdrücken. Und das wünscht sie sich ja schon so lange, endlich von hier weg zu kommen! – Also, wie wäre es, wenn sie jetzt erst mal gute Miene macht und sagt, sie hat es sich überlegt? Und wenn sie ihr erstes Geld von dem Siechen kriegt, macht sie sich einfach vom Acker. Egal wohin, nur weit, weit weg. Vielleicht auch nach Mainz! Mit einem guten Batzen Geld dabei, kann sie fürs Erste mal eine ganze Zeit auskommen. Und alles Weitere findet sich dann schon. Kann es denn woanders noch miserabeler
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