Die Siechenmagd
Vermögen zufließt, ist üppig bemessen. Er wird nach Leibeskräften dafür sorgen, dass sie aufgebraucht wird und für seine scheinheilige Familie draußen nichts mehr übrig bleibt. Und wenn er es sonstwem hier in den Arsch steckt!
Grimmig geht er die Listen der Speisen durch und vergleicht sie mit dem Inhalt der Kisten und Fässer, die der Schellenknecht ächzend hereinträgt.
10 Pfund Schweinelenden, 20 Pfund Leber- und Blutwürste, 10 Gänse in Salz, 5 Fässer Malvasier, 20 Perlhühner in Honig und Zwetschgen eingelegt, 3 Hechte auf Eis, 4 Rehkeulen, 10 Pfund Rindfleisch, 3 geräucherte Schinken, verschiedene, in Säcke gepackte Gewürze: Pfeffer, Nelken, Safran, Zimt, Salbei, Ingwer, 1 Topf mit Honig, 1 Sack Mandeln, 1 Sack Pfefferkuchen, 1 Sack Zwiebeln, 1 Sack Rosinen, 1 Sack Äpfel, 1 Topf mit Grießbrei, 1 Topf mit Mandelpudding, 1 Fass Gewürztraminer.
„Gut, Gottfried, scheint alles zu stimmen. Hab Dank für deine Mühe. Ich geb dir jetzt schon deine Entlohnung. Du bist mir aber noch in der Pflicht, den Tisch und die Stühle im großen Saal aufzustellen und den Weinausschank zu übernehmen. Wenn alles vorüber ist, machst du dich mit den Mägden ans Aufräumen, das hat aber Zeit bis zum nächsten Tag, denn es wird sicher spät werden heut Nacht“, instruiert Ulrich Neuhaus den Klingelmann und entnimmt seiner Geldkatze, die er um den Leib gebunden hat, eine Silbermünze. Gottfried steckt sie mit zufriedenem Gesichtsausdruck ein.
„So, jetzt zu euch“, wendet er sich an die beiden Köche, die mit ihren Gehilfen aus der Stadt gekommen sind, um gegen eine fürstliche Entlohnung hier im Küchengebäude des Leprosoriums ein feines Mahl zu bereiten.
„Rechnet für 40 Personen und gebt euch alle Mühe, wie damals bei der Hochzeit von Rüdiger, meinem Ältesten. Zuerst serviert ihr uns eine Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig. Zum Fleisch reichen wir Hirsegemüse und frisches Roggenbrot mit gesalzener Butter. Die Gänse bereitet ihr wieder mit einer dicken Honigkruste zu. Dann haben wir gebratene Perlhühner mit Zwetschgen, Honig, Pfeffer, Nelken und Safran. Das Rehragout bratet ihr mit Äpfeln und Honig, dann gibt es den gebackenen Hecht mit Pfefferkuchen, Wein, Rosinen, Äpfeln, Zwiebeln und Zimt, gefolgt von sauer gesottenem Rindfleisch in Weinbeeren, Knoblauch und Salbei. Das Schaffleisch mit Zwiebeln und die Schweinelenden in Pfefferrahm bilden den Abschluss der Hauptgerichte. Dann könnt ihr den geräucherten Schinken und die Pasteten vorbereiten. Als Nachtisch gibt es Grießbrei mit Honig und Ingwer und Mandelpudding. Also geht ans Werk und gebt euer Bestes, und glaubt bloß nicht, die Aussätzigen hätten keinen Geschmackssinn mehr! Zur Mittagszeit muss alles fertig sein und es soll das opulenteste Mahl werden, das es jemals auf dem Frankfurter Gutleuthof gegeben hat“, beendet Neuhaus seine Anweisungen an das Küchenpersonal und wendet sich zum Gehen.
In den zwei Wochen, die er nun schon in der Gemeinschaft der Leprakranken lebt, hat er bereits festgestellt, dass die 25 Männer und Frauen, auch wenn sie alle eine einheitliche graue Tracht tragen und sich untereinander mit „Bruder“ und „Schwester“ anreden, von ihrem Ansehen und Rang her aber durchaus nicht gleichgestellt sind. Ihm ist bewusst, dass die Üppigkeit und Qualität des Einstandsessens mitentscheidend für seine künftige Respektabilität auf dem Hof sein werden. Und wenn er schon hier draußen unter diesen lebenden Toten verfaulen muss, dann will er wenigstens einer der Mächtigen unter ihnen sein, wie er es auch stets innerhalb der Stadtbürgerschaft war. Ihm ist aufgefallen, dass die sechs Kranken, die auch als Prüfmeister bei der Lepraschau fungiert hatten, hier auf dem Gutleuthof über das höchste Ansehen verfügen. Es sind gleichzeitig auch diejenigen unter den Siechen, die am wohlhabendsten sind. Inzwischen ist er mit dem einen oder anderen von ihnen schon etwas näher bekannt geworden und hat in Erfahrung gebracht, dass Bruder Thomas in seinem früheren Leben Geistlicher mit einer ansehnlichen Pfarrei in der Wetterau war. Seit fünfzehn Jahren lebt er nun schon auf dem Gutleuthof und steht dem Leprosorium als Hospitalmeister vor. Die Brüder Anselm und Theodor waren früher wohlhabende und erfolgreiche Kaufleute, der eine im Tuchhandel, der andere im Gewürz- und Spezereienhandel. Bruder Jakob war früher Apotheker und Schwester Lioba ist sogar eine gebürtige Freifrau von Sassen. Die Priorin Schwester
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