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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Susanna entstammt einer altehrwürdigen Frankfurter Patrizierfamilie, mit der Neuhaus gut bekannt war. Ansonsten sind hier draußen sämtliche Stände vertreten: frühere Zunfthandwerker, Bauern, Tagelöhner, Mägde, eine Schankwirtin, eine Korbmacherin, ein Magister der schönen Künste und ein Bettelmönch. Und zu guter Letzt noch die Gesunden auf dem Gutleuthof. Außer Gottfried dem Schellenknecht gibt es noch fünf Dienstmägde, die mit ihren erkrankten Dienstherren auf den Hof gezogen sind, nicht zu vergessen die sieben Ehefrauen, welche als Ausbund ehelicher Treue das Ausgestoßensein mit ihren Männern teilen.
    Ulrich Neuhaus überquert den Innenhof des Leprosoriums und betritt das Hauptgebäude, in dem er, wie die anderen wohlhabenden Siechen, seine Wohnräume hat. Die ärmeren Kranken hausen in kleinen, zellenartigen Kämmerchen in den angrenzenden, sehr einfachen Nebengebäuden und müssen auf mancherlei Komfort und Annehmlichkeiten, welche im Haupthaus geboten werden, verzichten. Anders als den gut situierten Insassen steht ihnen keine Aufwartefrau und Wäschemagd zur Seite.
    Neuhaus beginnt mit seiner Morgentoilette, wäscht sich Gesicht und Oberkörper, kämmt sein gewelltes, graues Haar, welches nach der neusten Herrenmode aus Burgund einer kappenartigen Perücke gleicht. Der Klingelmann hat ihm gestern noch die Haare über den Ohren und im Nacken ausrasiert – mehr schlecht als recht, mit seinen ungeschickten Pranken. Es wird Zeit, dass er eine Magd bekommt! Neuhaus bestreicht die Knoten auf seiner Haut mit einer scharf riechenden weißen Paste aus Quecksilber, Schwefel und Kampfer. Der beste Medicus in der Stadt, Doktor Löw, hat sie für ihn zubereitet. Sie soll helfen, dass die Knoten zurückgehen und nicht aufbrechen. Mit kläglichem Gesichtsausdruck betrachtet sich Neuhaus in einem Spiegel an der Wand. Betrachtet sein altes Herrengesicht mit dem stolzen Zug um den Mund, der gewohnt war, zu befehlen. Die ehemals so kühnen Habichtsaugen, die immer alles im Blick hatten, sind glanzlos geworden und künden von großem Leid. Er ist ein Gezeichneter, ein vom großen Übel Behafteter! Womit habe ich das verdient? Ich habe stets ein frommes, rechtschaffenes Leben geführt und den Armen gespendet. Für welche Sünden hat Gott mich so verflucht? , hadert Neuhaus wie so oft über sein schweres Schicksal. Aber genug jetzt! Er wird Gäste haben und sich auch hier präsentieren als der, der er ist: ein Mann von Rang.
    Heute wird sich ihm die kleine Magd vorstellen. Sie soll ja sehr hübsch sein, wie Bruder Theodor gesagt hat, der von ihrer Mutter, einer ansehnlichen, netten Person versorgt wird. Dann werden bessere Tage kommen, vielleicht kann sie ihm die bitteren Stunden hier ein wenig versüßen und ihn lieb gewinnen. In der Stadt hatte er ja auch immer die eine oder andere kleine Buhlin im Frauenhaus, die er mit goldenem Geschmeide beschenkte, wenn sie ihn besonders verwöhnt hatte. Seine Lenden jedenfalls sind noch nicht tot und das ist auch gut so! Hier geht es zwar zu wie im Kloster, zu jeder Mahlzeit müssen fünf Vaterunser und fünf Ave-Maria gebetet werden, und es ist unter Strafe verboten, seine Lust untereinander und mit Gesunden zu haben. Selbst für Ehegatten gilt diese strenge Vorschrift. Aber Bruder Theodor, mit dem er sich ein bisschen angefreundet hat, hat ihm augenzwinkernd versichert, dass man in seinem stillen Kämmerlein alles tun kann, was man will, es braucht nur niemand zu wissen, und wenn man zu den richtigen Leuten großzügig ist, will es auch keiner wissen!
    Die Verwaltung des Hofes liegt in der Zuständigkeit des städtischen Rates, mit dem Neuhaus nach wie vor gut steht, gehörte er ihm doch bis vor kurzem selber noch an. Ein Obmann aus dem Senat, Ludwig Kaulbach, mit dem Neuhaus einen freundschaftlichen Umgang pflegte, vertritt die Siechen bei ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten, prüft die Rechnungen und entscheidet über Aufnahme oder Ausschluss der Kranken. Ihn wird er sich durch wertvolle kleine Geschenke warm halten.
    Ulrich Neuhaus geht zu einer Nische, in der zahlreiche Krüge, Leuchter und Schalen aus Gold und Silber stehen. Dort befindet sich auch eine edle, mit Perlmutt unterlegte Truhe aus Ebenholz, die mit einem soliden, schweren Eisenschloss versehen ist. Mit einem Schlüssel, den er wie ein Amulett an einem Lederstreifen um den Hals trägt, öffnet er die Kassette. Hier bewahrt er seine Schätze auf. Liebevoll gleitet sein Blick über die

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