Die Siechenmagd
wertvollen Schmuckstücke, die er während seiner langen Kaufmannstätigkeit in aller Herren Länder erworben hat. Es sind Ringe, Armreifen, Amulette und Ohrgehänge aus Gold und Silber mit gefassten Edelsteinen oder Halbedelsteinen. Aber auch einige zwar schon geschliffene, aber ungefasste Steine in unterschiedlichen Größen und Farben sind darunter. Er kennt die Bedeutung und die Geschichte, die mit jedem einzelnen Stein verwoben ist: Der Diamant verschafft schwangeren Frauen eine leichte Geburt und schützt, am linken Arm getragen, vor wilden Tieren, Gift und bösen Geistern. Der Rubin schützt vor Dieben und der Smaragd vor Fallsucht. Der Granat befreit von Schwermut, der Beryll bewahrt vor Feinden und verschafft ein zufriedenes Herz. Der Topas hält seinen Träger keusch, und der Achat, auf der linken Seite getragen, macht weise und klug. Der Türkis verhindert den Verlust von Gliedmaßen, und der Saphir heilt Geschwüre. Diese beiden Amulette sollte er eigentlich gegen sein Leiden tragen. Nachdenklich hält er inne und legt sie wieder in die Truhe zurück, denn hier draußen auf dem Gutleuthof ist den Kranken das Anlegen von Geschmeide strengstens verboten. Sorgfältig verschließt Neuhaus wieder die Truhe und lächelt in sich hinein. Mit diesen Kleinodien wird er sich auch hier das Leben angenehm machen und sich Freiheiten erkaufen. Sie sind sein Hintertürchen in dieser Einöde. Derart getröstet, ist er nun bereit, sich als respektabler Gastgeber zu präsentieren, wenn er auch anstelle seiner feinen Schaube * diese scheußliche graue Einheitstracht anziehen muss. Er nimmt sich vor, allem Unbill zum Trotz, gut gelaunt zu sein und verlässt seine Gemächer, um im Festsaal nach dem Rechten zu sehen. Auf dem Innenhof begegnen ihm Bruder Jakob, dereinst Stadtapotheker zu Frankfurt am Main, nebst Gattin Katharina, die als Gesunde mit ihrem an Aussatz erkrankten Ehemann auf dem Gutleuthof lebt, wie es sich unter braven Eheleuten gebührt. Katharinas bleiche, unnahbare Gesichtszüge künden von einer tiefen Schwermut. Vor fünf Jahren, als Jakob am Aussatz erkrankte, stand es für die renommierte Apothekerfamilie Beltz außer Frage, dass Katharina gemeinsam mit ihrem Gemahl in das Leprosorium ziehen müsse.
Sie tat es, wie sie alles tat, was von einer Tochter aus gutem Hause und vorbildlichen Ehefrau erwartet wird, verfiel aber im Laufe der Jahre zunehmend der Melancholie. Für den Abend war vereinbart, dass Frau Beltz auf ihrer Harfe spielen und erbauliche Verse zum Vortrag bringen werde. Ulrich Neuhaus begrüßt das Ehepaar mit ausgesuchter Höflichkeit und äußert seine Freude darüber, dass die Dame ihm die Gunst erweisen wolle, seine Tafel mit ihrer Gottesgabe zu beglücken. Diese nickt huldvoll, und das Paar verabschiedet sich. Neuhaus betritt den Festsaal, der den Siechen auch als Versammlungsort dient. Der Klingelmann hat gemeinsam mit den Mägden die Tafel hergerichtet. An jedem Platz stehen Teller und Becher aus Zinn, zehn Messer sind auf dem Tisch verteilt. Die Mägde bestreuen die Tischplatte mit getrockneten Rosenblättern, die einen wohlriechenden Duft verströmen, silberne Leuchter sind mit Kerzen aus Honigwachs bestückt. Neuhaus nickt zufrieden und merkt an, dass die Kristallschüsseln mit Lavendelwasser noch fehlen, an denen sich die Tischgäste vor und nach der Mahlzeit die Hände waschen können.
„Den Wein serviert ihr in den Silberkannen, die vorne auf der Anrichte stehen, und sorgt dafür, dass sie immer gut gefüllt sind. Verteilt alle silbernen Löffel, es hat nicht jeder meiner Gäste seinen eigenen Besteckkasten am Gürtel * “, ordnet Neuhaus an, als es an die Tür klopft. Überrascht fährt er zusammen und ruft „Herein!“.
Mäu und ihre Mutter, gefolgt von Bruder Theodor, treten ein. Anna ist festlich herausgeputzt, Mäu dagegen trägt ein schlichtes blaues Leinenkleid. Ulrich Neuhaus staunt nicht schlecht beim Anblick seiner neuen Magd. Das hübsche junge Gesicht kommt unter der weißen gestärkten Schmetterlingshaube gut zur Geltung. Auch von ihrer Mutter ist er sehr angetan: Anna Dunckel trägt ein rehbraunes Samtkleid mit einer kleinen Schleppe und überlangen weiten Ärmeln, das ihr Theodor eigens für das Fest hat anfertigen lassen. Es betont ihre stattliche Weiblichkeit äußerst vorteilhaft. Auf dem Haupt trägt sie einen Hennin * * aus blaugrünem Brokat, der mit einem meergrünen Schleier versehen ist. Auch dieser Hut ist ein Geschenk ihres Dienstherrns. Anna trägt
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