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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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freien Feld. Am dunkelgrauen Himmel ist kein einziger Stern zu sehen. Flink schlüpft Mäu durch eine Tür und betritt den Wohnraum von Katharina Beltz.
    „Da bist du ja endlich mal wieder, Maria! Konntest du dir heute bei dem alten Lustmolch freinehmen? Wie hast du das hingekriegt, los erzähl“, begrüßt Katharina freudig die Eintretende.
    „Er ist schon ziemlich betrunken gewesen und hat sich früh schlafen gelegt. Ich bin dann in mein Kämmerchen gegangen und habe ein bisschen gewartet, im Falle, dass Gottfried mir nachspioniert. – Na, der Neuhaus hat jetzt ganz schön die Hosen voll, nach dieser dicken Abmahnung von Schwester Susanna“, erwidert Mäu grinsend.
    „Ja, die Lektion scheint ganz schön gesessen zu haben bei ihm, er spielt ja jetzt nur noch den reuigen Sünder. Und heute hat er im Speisesaal sogar auf den Knien gebetet, der alte Heuchler, um bei den Siechenoberen schön Wetter zu machen“, mokiert sich Katharina.
    „Der falsche Hund, der! Ich hoff nur, seine Reue hält noch ein bisschen an. Momentan ist er ja ganz zahm, lässt mich links liegen und redet nicht viel. Aber das ist mir ja nur recht! Zieht eine scheppe Schnute und besäuft sich nach dem Abendessen, der Drecksack!“, entgegnet Mäu.
    „Ist doch prima, mein Mädchen! Und wir machen es uns jetzt ein bisschen gemütlich. Ich freu mich so, dass du da bist!“, wendet sich Katharina an die Freundin, nimmt sogleich einen Krug Gewürzwein vom Kachelofen und schenkt zwei Becher voll. Anschließend ergreift sie ein kleines Fläschchen, das vor ihr auf dem Tisch steht und gießt sich einen ordentlichen Schuss davon in den Wein.
    „Willst du auch ein bisschen Theriak in den Wein?“, fragt sie Mäu.
    „Ja, aber nur ein paar Tropfen, Katharina. Ich vertrag doch nicht so viel wie du“, antwortet Mäu.
    „Das ist auch gut so! Ich weiß ja, ich sauf viel zu viel von dem Zeug, aber ohne mein Theriak könnte ich es überhaupt nicht aushalten, in diesem Jammertal hier!“, erläutert Katharina und träufelt etwas Theriak in Mäus Becher. Nachdem sich die Freundinnen zugeprostet haben, entgegnet die frühere Apothekersgattin nachdenklich:
    „Ich weiß, es gibt nichts Schrecklicheres, als einem siechen Manne gefällig sein zu müssen! Zum Glück hat der Beltz in den letzten Jahren mehr und mehr von mir abgelassen und vergnügt sich nun, wenn ihn der Hafer sticht, mit unserer Magd Cordula, die sich dadurch wohl vorkommt wie eine Freifrau, die dumme Gans! Na ja, von mir aus, wenn ich dadurch nur meine Ruhe vor ihm habe!“
    Katharina hat ihren Becher geleert und macht sich eine weitere Mischung zurecht. Ihre Augen wirken glasig, die fortschreitende Wirkung des Opiats lässt die Lider schwer werden. Die ganze Zeit starrt sie auf ein großes, düsteres Gemälde, das vor ihr an der Wand hängt.
    „Dieses Bild hier und mein Theriak sind das Einzige, was mich noch am Leben erhält, in diesem Totenreich“, äußert sie schwerzüngig.
    „Aber ich bin doch auch noch da und halte zu dir“, entgegnet Mäu und streicht der Freundin liebevoll über das Haar. Sie weiß genau, was nun kommen wird. Berauscht vom Theriak wird sich Katharina wieder in ihre Phantasiewelten zurückziehen und ihr dabei die seltsamsten Geschichten erzählen. Wie immer wird sie ihr still zuhören, um der Unglücklichen auf diese Weise zu zeigen, dass sie für sie da ist. Katharinas Phantastereien, oft verstiegen und haarsträubend, sind zuweilen aber so lebendig und ergreifend, dass Mäu sich manchmal fragt, was dabei Traum oder Wirklichkeit ist.
    „Das Bild hier ist nichts anderes, als die Geschichte einer unerfüllten Liebe“, säuselt Katharina und lässt den Kopf schwer auf Mäus Schulter sinken.
    „Du bist wie eine Schwester für mich und deswegen werde ich dir auch das Geheimnis dieses Bildes anvertrauen. Es heißt ,Die Versuchungen des heiligen Antonius’. Siehst du den frommen Mönch im Vordergrund, mit dem Kreuz in der Hand, wie er angstvoll und drohend zugleich vor den drei schamlosen Weibern steht, die ihn mit ihren Reizen in den Bann ziehen wollen. Die Lust und ihre Entsagung lassen die Hölle Wirklichkeit werden! Wie du sehen kannst, ist die Gruppe ja auch umgeben von düsteren Höllengestalten, die sich gegenseitig alle erdenklichen Qualen zufügen. Was du allerdings nicht sehen kannst, ist die Phase, die dem Gemälde voranging und die der Maler bildlich nicht festgehalten hat. Antonius war, bevor er zum Einsiedler wurde, ein sehr sinnenfreudiger Mann. Voller

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