Die Siechenmagd
Lust frönte er der großen Ur-Hure Babylon, die sich ihm als das schamlose Tier darbot. Hier auf dem Bild sehen wir ihre Dreigestalt verkörpert durch die Wollust, die Unkeuschheit und die Gier. Der mächtige Zauber ihres Fleisches ist das, was die Welt antreibt, auflöst und zusammenhält. Antonius war ein glücklicher Mensch. Bis er merkte, wie ihm die Gier langsam aber stetig Fesseln anzulegen begann. Er verlor die Unschuld des Tieres, Argwohn und Schrecken überkamen ihn und ließen alles Fließende zu Stein erstarren. Aus Furcht vor der Allmacht Babylons flüchtete er in die Einsamkeit der Berge und errichtete sich dort eine Klause, in die er sich verkroch – und glaube mir, er sitzt dort noch immer! Er opferte seine Triebe einem neuen Götzen, verkörpert durch das Symbol des Kreuzes. Und wenn ihn zuweilen die alte Fleischeslust wieder lockt, so tritt er ihr zwar mit erhobenem Kreuze abwehrend entgegen, ist dabei aber durchdrungen von blanker Angst, wie seine Körperhaltung deutlich zeigt. Und jetzt sind wir mitten im Gemälde. Inmitten meines Dilemmas. Er hat sich von mir abgewendet. Nach der Fertigstellung des Gemäldes ist er in seine Heimat aufgebrochen, nach s’Hertogenbosch. Er hat mich verlassen! Geblieben ist mir nur das Gemälde und die Erinnerung an ihn. Kurze Zeit, nachdem Hieronymus nach Flandern abgereist war, erkrankte mein Gatte am Aussatz und ich musste ihm hierher folgen. Eine Strafe Gottes, die mich ereilt hat. Für meine Unzucht vollzieht sich nun an mir das Schicksal von Isolde, auch ich muss bis an mein Lebensende hier unter den Aussätzigen leben. Trotz der schweren Schuld, die auf mir lastet, verzehre ich mich immer noch nach ihm. Ich weiß genau, wie töricht das ist und ich habe ihn seither nie wieder gesehen. Die beiden Male, die ich versucht habe von hier zu entkommen, trieb mich allein die Sehnsucht nach ihm. Es vergeht keine Nacht, in der ich nicht von ihm träume. Es ist die Hölle, glaub mir, Maria“, stöhnt Katharina und greift erneut nach dem Theriak-Fläschchen.
„Eine seltsame Geschichte, Katharina. War der Maler wirklich dein Geliebter?“, fragt Mäu nach einer Weile des Schweigens nachdenklich.
„Der und mein Geliebter? Das hier ist mein einziger Geliebter!“, entgegnet Katharina verstört und setzt die Theriak-Phiole an den Mund.
„Das Bild hier hat Stefan Beltz gemahlt, der ist ein Neffe vom Jakob und ein Malerschüler. Der hat das gut abgekupfert von Boschs Gemälde“, äußert Katharina trocken.
„Aber du hast mir doch mal erzählt, dass der Bosch dir das Bild geschenkt hat“, hakt Mäu nach.
„Ach, Maria, zerbrich dir nicht den Kopf über mein dummes Geschwätz! Ich hab dich lieb und ich will jetzt schlafen“, murmelt Katharina noch, bevor sie ganz in sich zusammensinkt. Mäu breitet eine Decke über die in ihren Sessel gekauerte Freundin und verlöscht die Kerzen, bevor sie den Raum verlässt.
Was für ein armes Mensch! , denkt Mäu traurig, während sie an der hohen Mauer entlang zum Gesindehaus schleicht. Auch sie fühlt mittlerweile eine bleierne Müdigkeit und hat es eilig, in ihre Schlafkoje zu kommen. Da steht wie aus dem Nichts plötzlich der Schellenknecht vor ihr und versperrt ihr den Weg.
„Ich weiß genau, wo Sie herkommt! Hab Sie beobachtet, wie Sie zur Beltzin gemacht ist. Hat ja lange gedauert, Euer Weiberplausch. Was meinst du, wie sich Bruder Ulrich darüber freuen wird, wenn ich ihm das erzähl! Wo er dir doch ausdrücklich verboten hat, dass du mit der Umgang hast! Dann nimmt er dich nur noch mehr unter Kuratel“, feixt Gottfried schwerzüngig und rückt dicht an Mäu heran, die dadurch seine Alkoholausdünstung wahrnimmt und sich angewidert von ihm abwendet.
„Wenn sie mir aber gefällig war, die Schundmummelin, und mich gleich mit auf ihre Kammer nimmt, dann würd ich vielleicht mein Maul halten und auch sonst mal ein Auge zudrücken“, setzt der Schellenknecht verschlagen hinzu und greift nach Mäus Brust. „Glaub mir, ich kann mich erkenntlich zeigen, wenn du mich ab und zu mal ranlässt. Brauchst dich auch nicht so zu zieren, ich bin wenigstens ein gesunder Kerl bei dem noch alles dran ist, kannst gern mal fühlen!“, schwadroniert Gottfried anzüglich.
Mäu ist inzwischen so müde und betäubt, dass sie keine Kraft mehr hat, ihn zur Räson zu rufen. Sie will nur ihre Ruhe haben und schlafen, und so sperrt sie sich auch nicht, als Gottfried ihr zum Gesindehaus nachfolgt und hinter ihr die Kammer betritt. Sie lässt
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