Die Siechenmagd
nachdrücklich, während er breitbeinig im geöffneten Portal steht und mit seiner wuchtigen Gestalt den Eingang blockiert. Edu bezwingt sich nun zum wiederholten Mal, ruhig und gesittet zu bleiben und versucht den störrischen Schellenknecht von der Dringlichkeit seines Besuches bei Ulrich Neuhaus zu überzeugen. Aber Beredsamkeit liegt ihm einfach nicht, und so versucht er es schließlich mit anderen Mitteln, den Klingelmann umzustimmen: Seinem Brustbeutel entnimmt er im Anflug von Großzügigkeit einen Gulden und steckt ihn Gottfried zu. Und nachdem er dem Klingelmann noch hoch und heilig verspricht, bei Neuhaus nicht ausfallend zu werden, lässt ihn dieser endlich eintreten und begleitet ihn über den Innenhof zu den Räumen des Kranken.
„Ich halte mich hier draußen bereit, also, bleib er zahm, Hundshäuter!“, mahnt der Schellenknecht und positioniert sich vor dem Wohngebäude.
Als er schließlich die Stube von Neuhaus betritt, ist Edu ganz schön aufgeregt. Beim Anblick der abweisenden, blasierten Miene des ehemaligen Patriziers gesellen sich auch noch Abneigung und eine unterschwellige Wut hinzu. Trotzdem bemüht sich der Abdecker, sein Anliegen in ruhigen, wohlgesetzten Worten vorzutragen. Doch bereits nach den ersten Sätzen unterbricht ihn Neuhaus rüde und erklärt ihm schroff, er wäre auf keinen Fall bereit, Mäu wieder freizugeben. Währenddessen klopft es leise an der Tür und Mäu, ausgestattet mit verschiedenen Putzutensilien, späht zaghaft durch den Türspalt. Als sie den Vater erblickt, fühlt sie einen heftigen Stich in der Magengrube.
„Komm ruhig rein, Maria, und tu deine Arbeit! Unser Gespräch ist hiermit beendet, Hundshäuter, also troll Er sich gefälligst!“, befiehlt Neuhaus in eisigem Tonfall.
Edu, durch die plötzliche Anwesenheit seiner Tochter noch aufgewühlter, öffnet mit zitternden Fingern seine Geldkatze und entnimmt ihr einen prallgefüllten Lederbeutel.
„Herr Neuhaus, hier sind die hundert Gulden, die Ihr uns bezahlt habt. Bitte, nehmt doch das Geld wieder zurück und gebt das Mädel frei!“, richtet der Abdecker mit bebender Stimme das Wort an den Kranken. Mäu zuckt zusammen und blickt dem Vater in freudigem Erstaunen entgegen, woraufhin ihr Edu verschwörerisch zuzwinkert.
„Bitte, bitte, Herr, lasst mich doch von hier weg! Ich bleib auch weiter Eure Dienstmagd und diene Euch, solang Ihr lebt!“, fleht nun auch Mäu ihren Dienstherrn an.
„Jetzt hab ich aber langsam genug von der verdammten Abdeckerbagage! Mach jetzt gefälligst deine Arbeit, du dumme Rotznas, und geh mir nicht länger auf die Nerven!“, kreischt Neuhaus mit hochrotem Kopf. „Und du Abschaum verschwindest jetzt auf der Stelle und wage es bloß nicht mehr, mir nochmal unter die Augen zu treten!“, blafft er den Abdecker an. Edu, der merkt, dass er verloren hat, wird auf einmal von blanker Wut gepackt.
„Glaubt ihr denn alle, ihr könnt auf unsereinem grad rumtrampeln, wie es euch passt! Wir sind auch Menschen! Und wir nehmen jetzt unser Kind mit, auch ohne deinen Segen, du verdammter Siechenkrüppel!“, schreit der Abdecker und ergreift Mäu am Arm.
Der Schellenknecht, durch die lauten Stimmen alarmiert, stürzt in den Raum und nimmt Edu sogleich in den Schwitzkasten.
„Schmeiß ihn raus, den Drecksack, und lass ihn bloß nicht mehr hier rein, sonst kriegst du es mit mir zu tun, Gottfried!“, befiehlt Neuhaus keuchend.
Während Gottfried ihn gewaltsam aus der Stube entfernt, stammelt Edu hasserfüllt, dass er Neuhaus abstechen werde, wie einen räudigen Hund, wenn er es wage, dem Mädchen etwas zuleide zu tun.
11. Tröstungen
Nachdem die letzten Gebete gesprochen sind, verlassen die Kranken eilig den Speisesaal.
„Ich brauche dich nachher noch!“, sagt Neuhaus beim Hinausgehen zu Mäu, die noch damit beschäftigt ist, gemeinsam mit den anderen Siechenmägden, die Tische abzuräumen.
Schon wieder!, denkt sie empört und ist über seine Anweisung alles andere als erfreut. Bereits am gestrigen Abend musste sie ihm schon in seiner Wohnung Gesellschaft leisten. Diese Abende verlaufen stets nach dem gleichen Muster: Neuhaus ist betrunken, neckt und betätschelt sie dann ständig, wovor es sie doch so graust – und das scheint er genau zu wissen. Und je mehr sie sich widersetzt, desto derber werden seine Zudringlichkeiten. Immer neue Ansinnen denkt er sich aus, die für sie regelrechte Zumutungen darstellen. Aber genau das scheint ihm ein teuflisches Vergnügen zu
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