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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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heftige Worte wachgeworden, merkte nun, daß dies nicht seine vertraute Umgebung war, und fing an zu weinen. Nachdem Marga ihn hochgehoben und in den Arm genommen hatte, beruhigte er sich wieder, doch Jergs Gesprächigkeit hatte damit ein Ende. Was stand nun auf dieser Liste? Wie hatten Dettler und Jerg so viele Leute zum Mitmachen bewegen können? Befand sich womöglich Cornelius’ Name auch darauf? Und was würden die Männer tun, wenn Brabant sich weigerte, die Liste überhaupt zu lesen? Dutzende von Fragen schossen Marga durch den Kopf, doch Jerg blieb in dieser Nacht alle weiteren Antworten schuldig. Aber war sie auch nur einen Deut besser? Nach seiner anfänglichenOffenheit hatte sie zwar einen kurzen Augenblick mit sich gekämpft, ob nun nicht die Zeit gekommen wäre, ihm die Wahrheit über Find zu erzählen. Forderte Jergs Vertrauensbeweis, ihr all das zu erzählen, was seinem Herzen am nächsten lag, nicht das gleiche Verhalten auch von ihr? Auf der anderen Seite: War dies der richtige Ort, die richtige Zeit, um Jerg von Finds Vater zu erzählen? Beide Fragen mußte sie im stillen mit nein beantworten. Und so hatte sie den Gedanken genauso schnell, wie er ihr gekommen war, wieder verworfen.
    Am nächsten Morgen lagen dunkle Schatten unter Jergs tiefblauen Augen. Auch Marga fehlte die übliche Frische, statt roter Wangen hatte sie eine fahle und blasse Haut. Doch im morgendlichen Gedränge um den Haferbrei fielen diese Kleinigkeiten nicht weiter auf. Auch Margas stille, forschende Blicke in Jergs Richtung bemerkte außer Jerg niemand. Und er ignorierte sie. Jetzt, da es soweit war, wollte Jerg sich nicht von Marga abhalten lassen. Daß sie dies versuchen würde, davon war er überzeugt. Dabei hatte er Marga nur die Hälfte erzählt. So wußte sie beispielsweise nicht, daß sich heute auf der Burg Erzherzog Ferdinand mit diesem wichtigen Kirchenmann aus Rom treffen würde. Insgeheim wäre es Jerg auch lieber gewesen, wenn sie Brabant alleine angetroffen hätten. Doch die Zeit drängte: Martini und die Steuern nahten. Ein Aufschieben war deshalb nicht möglich, und so mußte die Liste überbracht werden – Kardinal und Erzherzog hin oder her.
    Weiland begann zu schwitzen. Kleine Schweißperlen liefen seine Stirn hinab und blieben in seinem buschigen Bart hängen. Verstohlen winkelte er beide Arme etwas ab, um so Luft an seinen Körper zu lassen, der unter dem groben Stoff der Winterkutte zu zerfließen drohte. Noch nie in seinem Leben war er in einem so warmen Raum gewesen! In allen drei Feuerstellen des großen Speisesaals von Burg Taben brannte es lichterloh, dazu kam die Wärme der unzähligenKerzen, die auf jeder nur möglichen Fläche aufgestellt worden waren. Mit dem Torf und dem Holz, das heute hier verbrannt wird, könnte halb Taben den ganzen Winter heizen, schoß es ihm zum wiederholten Male durch den Kopf, und er mußte an sich halten, nicht eine entsprechende Bemerkung zu machen. Doch solange er nicht wußte, wieso er als Dorfpfarrer an die Tafel des Erzherzogs und seines Besuchers eingeladen worden war, wollte er nicht durch unziemliche Bemerkungen auffallen. Auch Abt Richard hatte sich bisher erstaunlich zurückgehalten – und das bei seiner Redefreudigkeit! Mit jedem Gang, der aufgetischt wurde, wurde es Weiland unbehaglicher. Wie lange würde er noch ausharren müssen, um endlich zu erfahren, worum es bei diesem Treffen ging?
    Mit einem lauten Knacken brach Erzherzog Ferdinand neben ihm ein Stück Gänsebrust entzwei. »Und welche Possen, hochverehrter Kardinal, treibt Euer Busenfreund Martin Luther dieser Tage?« Belustigt beobachtete er, wie sich zwei seiner Hunde um ein Stück Gänsefleisch balgten, welches er ihnen hingeworfen hatte. Dann schob er sich selbst einen Batzen Fleisch in den Mund.
    Weiland hielt den Atem an.
    Kardinal Lorenzo Campeggi, engster Vertrauter des römischen Papstes, antwortete mit demselben Gleichmut wie der Fragensteller. »Luther? Laut meinen Informanten sitzt dieser im Schoß des Kurfürsten von Sachsen und übt sich an der Übersetzung der Heiligen Schrift.«
    »Eine Übersetzung der Heiligen Schrift? Wie infam! Will er denn in Deutsch predigen?« wandte sich Abt Richard mit weit aufgerissenen Augen an den Kardinal.
    »Ihr beliebt zu scherzen, verehrter Abt!« Mit spitz abgewinkelten Fingern hielt der Angesprochene in seiner Bewegung inne, das Messer, das er gerade zum Mund führen wollte, wie einen Speer auf den Abt gerichtet. »Ist Euch etwa entgangen, daß

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