Die Silberdistel (German Edition)
welche Schwierigkeiten mir daraus erwachsen mögen. Eine Revolution – man stelle sich das vor!« Er kratzte sich am Ohr. »Vielleicht hat diese Revolution sogar schon begonnen? Man hat mir berichtet, daß es in der Pfullinger Gemeinde, wo immer das auch sein mag, vor dem Gericht Klagen gegeben hätte wegen einer Erntefron. In Metzingen weigern sich die Bauern, Hunde für die gräfliche Jagd aufzuziehen. Im Remstal, wo unser vorzüglicher Wein gedeihet, verlangen einzelne Weinbauern das Recht, Vögel jagen zu dürfen, weil diese angeblich die Trauben fressen. Und im Benediktinerkloster zu Esslingen wollten Bauersleut’ letzte Woche das Tor einrennen, um die Vorratskammern zuplündern! Ihr seht: Es lodert ein bißchen hier, ein bißchen da. Wie soll ich da gegen die Aufrührer vorgehen?«
Genüßlich lehnte Lorenzo Campeggi sich zurück und ordnete die weißen Falten seiner Soutane, über die sich sein schwarzer Mantel wie ein Totenkleid legte. Diese Frage schien ihm besonderes Vergnügen zu bereiten, hatte er die Antwort darauf doch lang und breit vorbereitet.
Weiland schauderte es.
»Mit einer eisernen Harke muß das Land durchforstet werden! Stadt für Stadt, Dorf für Dorf – Müntzer muß gefunden und wegen Ketzerei vor ein Gericht gestellt werden. Alle Aufrührer müssen gefaßt und verurteilt werden. Es ist die Aufgabe eines jeden wahren Christenmannes, der heiligen Kirche beim Kampf gegen die Teufelsbrut Müntzers zu dienen.« Er bedachte Abt Richard und Weiland mit einem scharfen Blick. »Wer von aufrührerischen Tönen weiß oder hört, hat die Pflicht, diese sofort den Soldaten des jeweiligen Lehnsherren zu melden. Oder der Kommission aus Gottesmännern, die ich zur Untersuchung dieser unchristlichen Angelegenheit berufen werde. Zuallererst müssen wir einige Exempel statuieren, um einer weiteren Verseuchung durch Müntzers Gift Einhalt zu gebieten …«
Irritiert drehte Lorenzo Campeggi sich um. Durch die dicke Eichentür drangen plötzlich schwere Schritte und lautes Geschrei in den überhitzten Raum.
»Entschuldigt mich, ein menschliches Bedürfnis treibt mich …« Weiland, der schon seit geraumer Zeit wie auf glühenden Kohlen gesessen hatte, sprang auf.
Doch Erzherzog Ferdinand wies ihn mit einer Handbewegung an zu bleiben. »Was ist das für Lärm? Brabant! Wie könnt Ihr dulden, daß …«
Bevor er ausgesprochen hatte, polterten drei Männer in den Speisesaal. Weiland versuchte verzweifelt, Jergs Blick auf sich zu ziehen, doch vergebens. Nachdem er Brabant an der Breitseite des Tisches entdeckt hatte, ging Jerg mit großenSchritten auf ihn zu, ein aufgerolltes Stück Papier in der linken Hand.
Verzweifelt machte Weiland einen letzten Versuch. »Jerg Braun aus Taben! Deine Suche nach mir bedeutet wohl, daß der Herrgott deinen Großvater nun zu sich nehmen will und ich die letzte Ölung vornehmen soll?«
»Ja – nein, ich …« Ratlos drehte sich Jerg zu Dettler um, der ihm fast unmerklich zunickte, was ihn jedoch auch nicht schlauer machte. Für einen kurzen Augenblick war nur das Schnaufen der Hunde unter dem Tisch zu hören. Eilig sprach Weiland weiter:
»Wenn mich Eure Hoheit und Eure Eminenz entschuldigen würden, könnte ich einem braven Mann die letzte Ehr’ erweisen …« Behäbig erhob sich Weiland vom Tisch.
»Heh, du da! Was hast du da in der Hand?« kam es auf einmal von Ferdinand.
Aufgeschreckt blickte Jerg zur Schmalseite des Tisches, wo der österreichische Erzherzog präsidierte.
Weiland hielt die Luft an, doch ein Blick in Jergs Gesicht verriet ihm, daß jedes noch so innige Stoßgebet umsonst war.
Als Antwort auf die erzherzögliche Frage baute sich Jerg breitbeinig vor dem Burgverwalter auf und hielt ihm eine Papierrolle ins Gesicht.
»Das ist ein Schreiben von Euren Untertanen, verehrter Herr Burgverwalter. Darin sind Forderungen aufgelistet, um den Bauersleuten mehr Gerechtigkeit zu verschaffen. Lange genug haben wir Hunger gelitten, während Ihr Euch hier droben den fetten Wanst noch fetter gefressen habt!« Mit einer kreisenden Handbewegung deutete Jerg auf die Überreste der Festtafel. Auf seinem Gesicht lauerte ein trotziger Ausdruck, feindselig blickte er von einem Gesicht zum anderen. »Lange genug seid Ihr über unsere Felder gejagt, habt unsere Ernte niedergetrampelt, ohne zu überlegen, wovon wir im kommenden Winter leben sollten. Eure Steuern – die treibtIhr jedoch erbarmungslos ein, ohne zu fragen, ob wir diese auch aufbringen können.« Er
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