Die Silberdistel (German Edition)
zum Arbeiten habe – Lene wird immer giftiger. Es vergeht kein Tag, den sie mir nicht irgendwie vergällt. Aber das bekommt mein lieber Ehemann ja nicht mit. Ich frag’ dich hier und jetzt: Warum ziehen wir nicht endlich in die leere Hütte neben Asa? Ich habe die Nase voll von Lene, Cornelius und der ganzen Brut!«
Jerg schnaufte. Es gab keinen Tag, an dem Marga nicht darauf drängte, endlich Cornelius’ Haus zu verlassen. Doch so einfach war das für ihn, Jerg, nicht. Schließlich war er in dem Haus geboren. Dort war er aufgewachsen, dort war seine Arbeit. Sollte er etwa jeden Morgen den weiten Weg durchs Dorf bis zu Cornelius’ Feldern machen?
»Und weil wir gerade dabei sind: Daß du die ganze Zeit mit dem Dettler und den anderen Burschen zusammenhockst – das gefällt mir auch nicht! Wenn du mir wenigstens erzählen würdest, was ihr so Wichtiges zu besprechen habt. Aber nein, scheinbar bin ich deines Vertrauens nicht würdig. Und Weilands genausowenig! Wenn ich daran denke, wie er mit Asa und mir zusammengesessen ist, als ihr in der Schweiz wart! Heute sind wir wieder nur die dummen Weiber für ihn!«
Marga stand die Wut und Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Find, der nach der Wärme in Asas Hütte nun fror und heimwollte, begann zu heulen.
»Verflucht noch mal! Bei dir findet ein Mannsbild keine Ruh! Immer mußt du jammern, immer klagen! Als ob ich nicht genug andere Sorgen hätte!« Wütend schaute Jerg sie an. In seinen Augen waren dies alles Nichtigkeiten, während er mit Dettler und den anderen wirklich wichtige Dinge zu besprechen hatte.
»Dann erzähl mir halt endlich von deinen Sorgen!« Die Arme in die Seite gestemmt, versperrte Marga Jerg den Weg, in keiner Weise von seinem ruppigen Benehmen eingeschüchtert. Find wimmerte jetzt leise vor sich hin.
Inzwischen war es fast dunkel geworden, feuchter Nebelkroch von der Alb her in die Dörfer und Täler. Ohne es zu wollen, mußte Jerg Marga unentwegt anstarren. Selbst an diesem grauen, düsteren Abend konnte er das wütende Blitzen von Margas Augen sehen. Durch den raschen Marsch von Asas Hütte bis hierher hatten sich ein paar Locken aus den enggeflochtenen Zöpfen gelöst und klebten feucht an ihrer Stirn. Ihre rissigen Lippen bebten vor Aufregung, doch um nichts in der Welt hätte sie zu heulen begonnen, das spürte Jerg. Und wieder einmal wurde ihm klar: Die Frau, die da vor ihm stand, hatte nichts mehr gemein mit dem Weib, das er damals bei seiner Flucht zurückgelassen hatte. Mit dem er nicht viel anders gesprochen hatte als mit einem dummen Kind. Vor ihm stand ein Weib, das es an Kraft und Aufrichtigkeit mit jedem Manne aufnehmen konnte. Er konnte es nicht mehr verleugnen. Für einen kurzen Augenblick noch kämpfte er mit sich. Was würden die anderen dazu sagen, wenn er Marga ins Vertrauen zöge? Doch dann faßte er einen Entschluß. Lange genug hatte er ihr Vertrauen mißbraucht. Lange genug seine Familie belogen, ihr die Wahrheit vorenthalten, alles mit sich allein abgemacht. Damit sollte nun Schluß sein. Er hob Find vom Boden auf, dann legte er seinen rechten Arm um Margas Schulter.
Seine Stimme war rauh, als er mit einer eigentümlichen Leichtigkeit im Herzen zu erzählen begann …
Wäre Marga später in ihrem Leben einmal gefragt worden, welche Nacht die wichtigste in ihrem Leben war, so hätte sie sicherlich nicht wie die meisten anderen Weiber mit ›die Hochzeitsnacht‹ geantwortet. Vielmehr war es diese Nacht in Cornelius’ Schuppen, die ihr für ewig im Gedächtnis blieb. Hierher waren sie geflüchtet, weil Jergs Wahrheit nicht für jedermanns Ohr bestimmt war. Mit einer tranigen Ölfunzel hatten sie sich auf ein paar alten, schimmeligriechenden Strohballen niedergelassen. Find war schnell eingeschlafen, ohne sich weiter über die ungewohnte Schlafstatt zu wundern. Mit jeder Stunde, die diese Nacht älter wurde, wurdees Marga schwerer ums Herz. Und gleichzeitig leichter. Wie blind war sie in der letzten Zeit gewesen! Sie wußte hundertmal mehr von Asa als von ihrem eigenen Mann. Nichts, was in dessen Kopf vor sich ging, hatte sie auch nur geahnt. Es war, als würde er von einem anderen Menschen erzählen, doch alles, was er von sich gab, betraf ihn, Jerg Braun.
»… Müntzers Red’ ist eigentlich an allem schuld, irgendwie wollten mir die Worte von diesem Prediger nicht mehr aus dem Kopf gehen. Statt sich in der eigenen Herrlichkeit zu suhlen wie gewisse andere Pfaffen, hat der Müntzer den Nagel auf den Kopf
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