Die Silberdistel (German Edition)
Osterpredigt vorbereitete, überlegte er zum wiederholten Male, wie er seiner Pfarrgemeinde in diesen Zeiten Mut zusprechen könnte, ohne dabei die Position der Kirche oder der Regierung zu verraten. Was ein schier unüberwindbares Dilemma zu sein schien! Denn er konnte doch nicht öffentlich zugeben, daß er die herzögliche Politik des Verschwendertums schon lange nicht mehr guthieß! Er konnte doch nicht zugeben, daß diese Steuern den Tropfen bedeuteten, der das Faß eigentlich zum Überlaufen brachte. Genausowenig wie er zugebenkonnte, daß er wegen solcher Ungerechtigkeiten manchmal an seinem Herrgott zweifelte!
Weiland blickte zum Fenster seines kleinen Pfarrhauses hinaus in den Obstgarten, in dem die ersten Bäume schon zu blühen begannen. Wie schön könnte das Leben doch sein! Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, den außer ihm niemand hören konnte, da er allein lebte. Eine Haushälterin konnte sich ein Pfarrer in einer so armen Gemeinde wie Taben nicht leisten.
Um wieviel besser war es ihm gegangen, als er noch als Mönch im nahegelegenen Benediktinerkloster Weil wohnte! Jeden Tag drei warme gekochte Mahlzeiten, dazu reichlich Wein, und als ob das noch nicht reichte, wurde sein Schlaf durch eine weiche Gänsedaunendecke versüßt, auf der immer frisches Leinen zu finden war. Und doch: Glücklich war er damals auch nicht gewesen. Im Gegenteil, nachdem er die ersten Klosterjahre mit intensiven Bibelstudien verbracht hatte, bekam er das Gefühl, sein Dasein vollkommen abgeschieden von der Außenwelt zu fristen. Und er glaubte, daran ersticken zu müssen! Während er in seinen Klostermauern saß und nutzlose Studien betrieb, plagte sich der Bauer auf dem Felde ab. Während er uralten, sinnlosen Zeremonien nachging, mühte sich der Handwerksmann in seiner Werkstatt. Das sollte ein gottgefälliges Leben sein? Er begann, von Tag zu Tag mehr an seinem ganzen Dasein zu zweifeln. Mit Schaudern dachte Weiland noch heute an die demütig auf Knien vor dem Kreuze verbrachten Nächte, in denen der Schlaf so fern war wie der Mond, der ihm hoch droben Gesellschaft leistete. An die in hungernder Askese verbrachten Tage, in denen er vergeblich auf die Erleuchtung hoffte. Wie sehr hatte er seinen Herrgott um Hilfe, um einen Fingerzeig angefleht! Doch dieser blieb aus. Jahrelang mußte er zuschauen, wie seine Brüder im Kloster knusprige Brathähnchen mehr liebten als die Hostie bei der Kommunion. Jahrelang ließ er sich mit einem Sack auf den Schultern zumBetteln schicken. Von Tür zu Tür mußte er gehen, von den Ärmsten der Armen seine Bettelbissen in Empfang nehmen. Wie oft hatte er sich vor Abscheu beinahe übergeben müssen, während er demütig verlogene Dankesgebete seufzte!
Doch dann kam seine Erlösung. Zuerst wollte Weiland seinen Ohren nicht trauen, als Abt Richard, der Vorsteher von Kloster Weil, ihn fragte, ob er nicht die Nachfolge des an der Pest verstorbenen Dorfpfarrers Matthäus antreten wolle. Wie kam Abt Richard gerade auf ihn? Seine bisherigen Erfahrungen mit dem Oberhaupt des Klosters hatten sich auf flüchtige Begegnungen in den langen Gängen oder im Refektorium beschränkt. Denn tagsüber war der Pater für fast alle unerreichbar in seiner Faktorei, wo er den vielfältigen Geschäften des Klosters seine Zeit widmete. Die Abende verbrachte er gesondert von den anderen Ordensbrüdern in seiner Abtswohnung. Weiland kannte ihn eigentlich nur durch die sonntäglichen Predigten, die Abt Richard im vollbesetzten Oratorium abhielt. So hatte sich Weiland auch nach Jahren der Klosterzugehörigkeit noch kein Bild von seinem Vorsteher machen können.
Dieser jedoch wußte recht gut Bescheid um Weilands Gemütszustand, und konnte er auch nicht das ganze Ausmaß dessen Seelenunheils ausmachen, so erkannte er doch zumindest, daß Weiland in den Klostermauern nicht glücklich war. Was Richard nicht weiter gestört hätte. Wenn …, ja wenn in Weilands stillem Unglück nicht die Gefahr bestanden hätte, daß sich andere Mönche von diesem Seelenzustand anstecken ließen. Eine Rebellion unter seinen Brüdern, und sei es eine noch so leise, war das letzte, was Richard sich für sein Kloster wünschte! Wo doch schon aus dem ganzen Land beunruhigende Nachrichten über abtrünnige Mönche und Kirchenanhänger zu hören waren! So hatte ihm erst kürzlich ein auf der Durchreise befindlicher Franziskaner von einem gewissen Augustinermönch erzählt, der in Wittenberg und darüber hinaus von sich reden machte.
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