Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
Vom Netzwerk:
Steuern halte!«
    Wie alle anderen auch, beobachtete Jerg entsetzt, wie sich der Mann unaufhaltsam dem Redner näherte. Der Kleidung nach zu urteilen, handelte es sich um einen Bauern, doch Jergkannte den Mann nicht. Sein Hemd war an manchen Stellen schon so durchgewetzt, daß man die Knochen darunter erkennen konnte. Seine Schlumperhosen starrten vor Dreck, und er war barfuß. Auf seinem Gesicht war eine Spur von Wahnsinn zu erkennen. Jerg hatte diesen Ausdruck schon mehr als einmal gesehen und wußte, was er zu bedeuten hatte: ein letztes Aufbäumen gegen den Hunger, dem meist eine große Gleichgültigkeit folgte, die so lange dauerte, bis sich die Leute schließlich ihrem Schicksal ergaben und langsam, aber sicher einen grauenvollen Hungertod starben.
    Nüchtern und ohne innere Anteilnahme registrierte Jerg den Zustand des Mannes und haßte sich dafür. Auf einmal konnte er die Stimme seiner Mutter hören: »Es bedarf eines eisernen Herzes, um mit der ganzen Kälte leben zu können!« Hatte sie das nicht immer gesagt, wenn das Elend um sie herum allzu schlimm war? Von Gott gegeben – der Teufel soll’s holen! »Damit ist’s in Zukunft aus und vorbei, das schwör’ ich hier und jetzt!« In seinem ohnmächtigen Zorn hatte Jerg seinen letzten Gedanken laut ausgesprochen. Doch die Leute waren viel zu sehr mit dem Schauspiel vorne am Rednerpodest beschäftigt, als daß sie Jergs Worten gelauscht hätten. Für einen kurzen Augenblick war Jerg so tief in Gedanken versunken, daß er erst wieder zur Besinnung kam, als die Leute rings um ihn herum zu lachen begannen.
    Als er nach vorne blickte, mußte auch er unwillkürlich lachen: Der Mann hatte in der Zwischenzeit das Messer aus der Hand gelegt, seine Hose aufgeknöpft und pinkelte nun in hohem Bogen auf das Podest! Obwohl der Redner schon einen Schritt zurückgetreten war, bekam auch er etwas ab.
    »So, jetzt wißt ihr, was ich von euren Steuern halte!« schrie der Mann, während er seinen Strahl auf die Papierrolle richtete, die der konsternierte Redner noch immer reglos in seiner linken Hand hielt.
    Sofort wurde der Mann auf ein Zeichen des Beamten hinvon den Soldaten zu Boden geworfen und von deren schweren Stiefeln besinnungslos getreten.
    »Wo ist der Büttel? Soldaten, haltet den Wahnsinnigen fest!« Die sonst so gelassene Stimme des Beamten schnappte in seiner Aufregung fast über, als er, vom Gelächter der Menge begleitet, aufgeregt Befehle an jeden und niemanden gleichzeitig erteilte.
    »Das wird noch ein Nachspiel haben, das verspreche ich Euch«, zischte der gepeinigte Redner dem Kirchheimer Vogt zu und verschwand in Richtung Herberge, um endlich dem Spott der Menge entfliehen zu können.
    Wutentbrannt fuchtelte der Kirchheimer Vogt mit beiden Händen in der Luft herum. Erst jetzt wurde ihm die ganze Tragweite des Vorfalls bewußt. Bauern, die den herzöglichen Gesandten anpinkelten! Ein Attentat! Er konnte sich schon lebhaft das Gerede vorstellen, das durch diesen Zwischenfall am Stuttgarter Hof ausgelöst werden würde! Wer wollte jetzt noch Kirchheim einen Besuch abstatten? Der Stadtvater, selbst Eigentümer der größten Herberge der Stadt, sah bereits eine seiner besten Einnahmequellen versiegen …
    An den ohnmächtig am Boden liegenden Bauern, der den ganzen Aufruhr verursacht hatte, verschwendete er keinen weiteren Gedanken. Den würden die Folterknechte im Turm schon wieder zur Besinnung bringen!
    An ein normales Markttreiben war nun natürlich nicht mehr zu denken. Überall standen Menschen in Grüppchen zusammen und diskutierten heftig über den neuen Erlaß. Dabei erörterten Kaufleute mit Kaufleuten die Folgen für ihresgleichen, Bauern jammerten mit anderen, und Wirtsleute suchten sich wiederum andere Wirtsleute, um ihre Verärgerung über die neuen Steuern loszuwerden.
    Auch Jerg beeilte sich, zu seiner Familie zu kommen, wobei er sich immer wieder regelrecht durch die Menge drängen mußte. Der süße Duft von Bratäpfeln, die Wohlgerüche gerauchter Würste, die farbenfrohen Stoffe und vieleandere Sinnesreize – alles ging an ihm vorbei, ohne daß er auch nur irgend etwas davon wahrgenommen hätte. Der Markt hatte für heute seinen Zauber verloren.
    Bei Margas Stand traf er auf die anderen. Aufgebracht wandte sich Lene gerade an Cornelius. »Das kann doch einfach nicht wahr sein! Wie soll denn das in Zukunft weitergehen?«
    »Irgendwie wird’s wohl gehen müssen, Lene. Dann kommt in Zukunft eben noch weniger Schweinefleisch auf den

Weitere Kostenlose Bücher