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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Lehre wird dir Haß einbringen!

Konstanz, Refektorium des Franziskanerklosters,
Juni 1415
    Der Speisesaal der Konstanzer Franziskaner war beinahe zu klein, um die Menge der Kardinäle und Theologen zu fassen, die zum Verhör des böhmischen Magisters erschienen waren. Man hatte in mehreren Reihen an den Wänden entlang Bänke aufgestellt; die Stirnseite nahm ein breiter, mit Kissen gepolsterter Thronsessel für den König ein. Eine Anzahl Schreiber saßen ganz hinten im Raum, auf ihren Pulten lag ein Vorrat an bereits angespitzten Gänsekielen und noch unbeschriebenem Papier, in den dafür vorgesehenen Vertiefungen steckten gut gefüllte Tintenhörnchen.
    Der Saal füllte sich langsam; alle kirchlichen Würdenträger von Rang waren gekommen, um den »Propheten der Anarchie« zu befragen, wie man Hus inzwischen nannte. Als letzter kam Sigismund, wie immer eine blendende Erscheinung. Er war ganz in leuchtendes Himmelblau gekleidet, ein auffälliger Kontrast zu den roten Roben der Kardinäle und den schwarzen Talaren der Prälaten, Schreiber und Juristen. Gemessenen Schrittes durchquerte er den Raum und nahm in den Polstern seines Scherenstuhls Platz. Dann hob er die Hand, seine Stimme schallte durch den Saal: »Man hole den Angeklagten!«

    Jan Hus ging schon seit einer Stunde in der Mönchszelle auf und ab, in die man ihn am Vortag von Gottlieben aus gebracht hatte. Gewaschen hatte man ihn, ihm Haare, Bart und Nägel geschnitten und ihn in ein einfaches dunkles Gewand gesteckt. Es ging ihm leidlich gut, seit er wieder regelmäßig Saras Arzneien nahm; sie hatte ihm auch noch eine Tinktur aus Hafer, Johanniskraut, Rauwolfia und Weißdorn ins Gefängnis geschickt, um seine Melancholie zu vertreiben. Doch zur besten Medizin war ihm Wyclifs Manuskript geworden, das er inzwischen bald auswendig konnte. Das Vermächtnis des Engländers hatte ihn gestärkt, im Glauben und im Willen, diesen Glauben zu verteidigen. Ja, er wartete sogar ungeduldig darauf, endlich vor das Tribunal zu kommen. Da saßen lauter kluge Männer, die besten Köpfe der Christenheit. Sie mussten einfach verstehen, mussten einsehen, dass er recht hatte. Er war kein Ketzer – die Kirche war es, die einen falschen Weg eingeschlagen hatte.
    Jetzt hörte er schwere Schritte draußen auf dem Gang. Sie kamen ihn holen. Er bekreuzigte sich und sprach ein schnelles Gebet, dann wurde die Tür aufgerissen. Zwei Wachen eskortierten ihn ins Refektorium.
    »Seid Ihr der Magister Jan Hus, geboren in Böhmen, Priester und ehemals Rektor der Universität zu Prag?« Das war Kardinal Pierre d’Ailly, Kanzler der Sorbonne, der den Vorsitz der Verhörkommission innehatte.
    »Der bin ich«, entegnete Jan Hus laut und vernehmlich.
    D’Ailly nickte. »Ihr seid hierher beordnet, Jan Hus, um zu widerrufen, was Ihr öffentlich geschrieben und gepredigt habt. Hier und heute habt Ihr Gelegenheit, Euch der Gnade der heiligen Mutter Kirche zu unterwerfen und wieder in den Schoß der wahren Lehre zurückzukehren. Die hier anwesenden ehrwürdigen Väter geben Euch öffentliches, friedliches, ehrenhaftes Gehör. Wollt Ihr Euch vor diesem Gericht äußern?«
    »Das will ich«, antwortete Hus. Dann drehte er sich zu den Kardinälen um, die alle auf der rechten Seite des Raumes saßen. »Ich bin freiwillig nach Konstanz gekommen«, sagte er, »im Vertrauen auf das Geleit, das mir Seine Majestät König Sigismund verbindlich zugesichert hat … «
    »Für Ketzer gibt es kein freies Geleit!«, schrie einer der Prälaten aus den hinteren Reihen. Andere stimmten lauthals zu, und es entstand ein kleiner Tumult.
    »Ruhe!«, rief Sigismund und stampfte mit dem Fuß auf.
    Francesco Zabarella, der Kardinal von Padua, erhob sich. »Ihr seid nun jedenfalls hier, um die Wahrheit des Glaubens zu erkennen und Eure Aussagen zu widerrufen.«
    Jan Hus schüttelte den Kopf. »Ehrwürdige Väter, ich bin aus freien Stücken nach Konstanz gekommen, nicht um zu widerrufen, sondern um meine Lehre zu erklären. Sofern man mich von falschen Aussagen überzeugt, werde ich sie nicht verstockt verteidigen, sondern ich werde mich belehren lassen und wenn nötig korrigieren, wo ich etwa gefehlt haben sollte.«
    »Wir sollen ihn überzeugen? Das ist eine Unverschämtheit!« Wieder schrie man auf den hinteren Bänken wild durcheinander. Diesmal rief d’Ailly die Prälaten zur Ordnung, doch die Ermahnung wirkte nur kurz. Im Saal blieb ständige Unruhe, während nun die führenden Mitglieder der Kommission nach und

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