Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Fischgerichten, legte die Gesellschaft eine Pause ein, und Meli hatte ihren Auftritt. Sie bestieg anmutig das Podest und begann mit ihren atemberaubenden Verrenkungen, während Ciaran sie leise auf der Harfe begleitete. Alle bewunderten die graziösen, geschmeidigen Bewegungen und staunten über die Mühelosigkeit, mit der das Schlangenmädchen sein Rückgrat so weit durchbog, dass man fürchtete, es würde gleich brechen. »Als habe das kleine Ding gar keine Knochen!«, rief eine Dame und klatschte bei einer besonders komplizierten Figur in die Hände. »Das ist ja Zauberei!« Andere Gäste pflichteten ihr bei. »Ei, was unsereins wohl in ein paar Jahren mit der Kleinen im Bett anstellen könnte?«, fragte der Burggraf anzüglich in die Runde und erntete Gelächter. »Da müsst Ihr aufpassen, dass Ihr am Schluss noch wisst, wo vorne und hinten ist«, juxte einer, und ein anderer kicherte: » … oder dass Ihr aus dem Jüngferchen keinen Knoten macht, den Ihr hinterher nicht mehr aufbringt!« Der Burggraf grinste anzüglich. »Fürwahr, Ihr unterschätzt mich, meine Freunde«, erwiderte er. Die Dame neben ihm, eine erlesen geschmückte blonde Schönheit, lachte hell auf und schob ihm, unbemerkt von den anderen, die Hand zwischen die Beine. Ciaran, der die Bewegung gesehen hatte, fragte sich, wer sie wohl sei – wie er gehört hatte, war der Burggraf ohne seine Ehefrau in Konstanz … Nun ja, hier in der Konzilsstadt waren die Sitten locker, und ein solch prächtiges Mannsbild wie der Burggraf konnte an jedem Finger zehn Mädchen haben, wenn er wollte. Diese hier allerdings war ein Bild von einem Weib; beinahe neidete Ciaran dem Gastherrn seine Buhlschaft.
Nach ihrem Auftritt ging Meli herum und hielt den Gästen mit bravem Knicks ein gedrechseltes Schälchen hin, das sich langsam mit Münzen füllte. Dann war sie entlassen und ging heim, den Rest des Abends übernahm Ciaran mit seiner Harfe. Er spielte zurückhaltende, unaufdringliche Melodien als Hintergrundmusik, denn die Herrschaften wollten sich unterhalten. Die Gespräche drehten sich zunächst um den Papst, der in der Zwischenzeit von Schaffhausen nach Breisach geflohen war. Soweit man wusste, korrespondierte er mit den Königen von Frankreich, Polen und Böhmen sowie einer Reihe von französischen Herzögen und setzte so alle Hebel in Bewegung, um das Konzil scheitern zu lassen. Ciaran erfuhr, dass der König über den abtrünnigen Herzog von Österreich die Reichsacht verhängt und ihm den Krieg erklärt hatte und dass ein Großteil seiner Besitzungen bereits erobert war, darunter die Habsburg, der Familienstammsitz. Daraufhin hatte sich Friedel mit der leeren Tasche schleunigst unterworfen und war von Sigismund großzügig begnadigt worden. Derweil hatte eine Kommission in der Stadt ein Sündenregister mit siebzig Anklagepunkten gegen Johannes XXIII. ausgearbeitet. Sogar die Leugnung von Auferstehung und ewigem Leben legte man ihm zur Last, mit dem stichhaltigen Argument, daran glaube ohnehin kein Neapolitaner. Die Verhandlung war schon so weit fortgeschritten, dass die Urteilsverkündung und gleichzeitige Absetzung des Papstes in zwei Tagen im Münster stattfinden sollte. Baldassare Cossa stand inzwischen unter königlicher Bewachung und befand sich auf dem Weg nach Gottlieben. Ciaran schüttelte unmerklich den Kopf, als er dies hörte. Welche Ironie des Schicksals, dass man Johannes XXIII. nun in denselben Turm zu stecken gedachte wie seinen Widersacher Jan Hus! Da würden sie nun Tür an Tür gemeinsam schmoren, der teuflische Ketzer und seine Heiligkeit, der Papst!
Überhaupt der böhmische Magister! Auch über ihn diskutierten die Gäste; es ging hoch her, weil die anwesenden Böhmen ihn mit Herzblut und Leidenschaft verteidigten. Zwei von Jan Hus’ offiziellen Schutzherren waren anwesend, Wenzel von Duba und der Baron Johann von Chlum-Slawata, der sich besonders ereiferte. »Wenn Jan Hus in Konstanz auch nur ein einziges Haar gekrümmt wird«, hörte ihn Ciaran plötzlich laut und vernehmlich poltern, »dann wird sich Böhmen wie ein Mann gegen König und Papst erheben, das schwöre ich, so wahr ich hier sitze!«
Die Gäste verstummten entsetzt. Man hörte nichts mehr außer der leisen Harfenmelodie, die Ciaran in der allgemeinen Verlegenheit einfach weiterzupfte. Er bemerkte, wie sich Burggraf Friedrich und seine Dame bedeutungsschwer ansahen, dann stand der Hohenzoller zur Rettung der Lage auf, klatschte in die Hände und befahl der
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