Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
fehlerhaften Sinn erhalten sollte, so verwerfe ich diesen Sinn. Da ich aber befürchten muss, gegen die Wahrheit zu verstoßen und die Ansichten der Heiligen, so bin ich nicht bereit, etwas davon zu widerrufen. Wenn aber meine Stimme jetzt in aller Welt gehört werden könnte, so wie beim Jüngsten Gericht jede meiner Lügen und Sünden sich offenbart, so wollte ich ganz freudig vor aller Welt abschwören, was ich je an Falschem oder Irrigem gedacht oder gesagt habe … «
Sara
Wir schrieben den 6. Juli 1415. In der Stadt war es wie ein Lauffeuer herumgegangen: Heute würde das Konzil den Magister Jan Hus im Münster öffentlich als Ketzer verurteilen. Ich hörte die Nachricht und fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. Hatte ich ihn dafür gesund gemacht? War ich mitschuldig an seinem Tod, weil ich ihm Ciarans Manuskript gegeben hatte, eine Schrift, die ihn vielleicht in seiner Überzeugung bestärkt hatte, nicht zu widerrufen? Inzwischen wusste ich, dass das Konzil vor einigen Wochen John Wyclif als Ketzer verdammt hatte. Weil man ihm selber nichts mehr anhaben konnte, hatte man zum Zeichen für diesen Schuldspruch die Verbrennung seiner Gebeine angeordnet. Wieder einmal lernte ich etwas Neues: Die Christen betrachteten das Feuer als uralte, gerechte Strafe für Häretiker; deshalb musste man Wyclifs toten Körper noch nachträglich verbrennen. Adonai, wie lästerlich ging man hier mit der Würde des Todes um! Einen Menschen aus dem Grab zu holen und seinen Leichnam zu schänden, das war so schrecklich, dass ich es mir gar nicht vorstellen mochte.
Ich sprach darüber mit Ciaran, aber er verstand gar nicht, was ich meinte. »Ein Ketzer muss brennen, und sein Körper darf nirgends eine ewige Ruhestätte haben«, sagte er. »Deshalb gräbt man Wyclif noch einmal aus.«
»Aber ich dachte immer, du hältst diesen Wyclif gar nicht für einen Ketzer?«, erwiderte ich. »Immerhin hast du doch erzählt, du könntest vieles an seiner Lehre verstehen und gutheißen.«
Er wurde richtiggehend zornig, als ich das sagte. »Wie kannst du so etwas behaupten? Damals war ich jung und wusste nicht, wohin ich gehörte und was ich glauben sollte. Heute sehe ich das anders: Ganz gleich, ob seine Lehre richtig oder falsch war – Wyclif hat die Mutter Kirche angegriffen, er wollte alles niederreißen, was die Kirche in Jahrhunderten aufgebaut hat. Der Schaden für den christlichen Glauben wäre unermesslich. Das ist sein wahres Verbrechen, nicht weniger schlimm als Häresie!«
»Aber er und Jan Hus haben doch aufgezeigt, wie es nach der Abschaffung aller Missstände besser weitergehen könnte … «
Ciaran winkte ab. »Lass uns aufhören, Sanna. Du verstehst das nicht. Ich dagegen war im Kloster, und ich kenne Wyclifs Lehre. Glaub mir, das Konzil hat recht. Ketzer müssen gestraft werden.«
»Aber gleich mit dem Tod?« Mir graute vor dieser Vorstellung. »Nur dafür, dass man eine falsche Überzeugung hat? Kann man den Jan Hus nicht einfach in irgendein Kloster stecken? Dort könnte er doch kein Unheil mehr anrichten!«
Er küsste mich auf die Stirn. »Du hast ein weiches Herz, Liebchen, das steht dir gut an. Dieser Jan Hus hat es dir angetan, weil er krank war und deine Hilfe brauchte. Aber ich glaube, du solltest dir dein Mitleid für andere Patienten aufsparen. Du kannst ohnehin nichts ändern, er bekommt seine Strafe so oder so. Und nun denk nicht mehr darüber nach, hm?«
Ich seufzte und sagte nichts mehr. Ciaran hatte sich verändert in den letzten Wochen. Jeden Abend hockte er mit diesen irischen Mönchen zusammen, manchmal auch schon am Tag. Wenn er dann spätnachts aus der Schänke zurückkehrte, war er schweigsam und nachdenklich. Oft lag er neben mir, den Arm um mich geschlungen, und ich fühlte mich doch meilenweit von ihm entfernt. Ich glaube, damals haderte er schon damit, dass er sein Mönchsgelübde gebrochen hatte. Es muss auch um diese Zeit gewesen sein, dass er wieder begann, zu beten. Für mich war das schwer zu ertragen. Bisher hatte ich die Tatsache, dass ich ihm meine Religion verschwiegen hatte, immer damit gerechtfertigt, dass ihm das wohl nicht so wichtig wäre. Jetzt bekam ich mehr und mehr das Gefühl, etwas Schreckliches vor ihm zu verbergen, etwas, das er mir nicht nachsehen oder verzeihen würde. Und dieses Gefühl brachte mich erst recht dazu, zu schweigen. Ich hatte Angst davor, was geschehen würde, wenn er mein Geheimnis erfuhr. Denn schließlich liebte ich ihn doch. Er war alles, was ich
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