Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
nach ihre Fragen stellten. Hus argumentierte klar und deutlich, er wiederholte immer wieder, dass er bereit sei, sich eines Besseren belehren zu lassen, verteidigte aber seine Thesen mit Überzeugungskraft und außergewöhnlicher Diplomatie. Er war zu klug, um sich festnageln zu lassen.
»Sagt uns, Jan Hus, ob Ihr bei Eurer Behauptung bleibt, die Kirche sei eine Gemeinschaft, deren Oberhaupt allein Gott sein kann und nicht der Papst?« Das war Kardinal Henry Beaufort, der Sprecher der englischen Kirche. Hus’ Antwort ging im Geschrei der Prälaten unter. »Häresie!« brüllte jemand – und für einen Augenblick wurde alles still. Das Wort war gefallen, das Wort, das den Tod bedeuten konnte. War Jan Hus zusammengezuckt? Niemand hätte es hinterher mehr sagen können. Doch alle, alle waren sich bewusst: Dies war der Punkt, von dem an es kein Zurück mehr gab. Entweder Jan Hus ließ sich zum Widerruf bewegen – oder er wählte das Feuer.
Nach diesem Vorwurf der Ketzerei war es Jan Hus kaum mehr möglich, zu Wort zu kommen. Das Verhör zog sich noch über Stunden hin, ohne dass man die Hinterbänkler zur Ruhe hätte bringen können. Den Höhepunkt erreichte der Aufruhr, als Jean de Gerson, Wortführer der Franzosen, Hus’ These verlas, wonach ein Papst, Bischof oder Prälat, der in Todsünde lebte, kein Papst, Bischof oder Prälat sei. Auch ein todsündiger König sei kein König. Manch ein Kardinal sah bei diesem Satz betreten zu Boden. Es war ein offenes Geheimnis, dass Sigismund auch hier in Konstanz bald täglich die Ehe brach. Sigismund selbst, der gerade in einer Ecke mit einem seiner Juristen politische Dinge erörterte, wurde herbeigebeten. »Widerrufe das, Hus!«, schrie jemand.
Hus aber sah den König an und wiederholte laut und vernehmlich, was Gerson gerade vorgelesen hatte: »Auch ein König, der in Todsünde lebt, ist vor Gott kein König.« Man hätte eine Nadel fallen hören können. In dem Saal, der bis dahin vom Lärmen der Zwischenrufer erfüllt war, herrschte lähmende Stille. Sigismund holte tief Luft. Dann antwortete er ruhig: »Jan Hus, kein Mensch lebt ohne Sünde.«
Nach dieser Konfrontation gab es für die Gegner des Böhmen kein Halten mehr. Keiner verstand mehr sein eigenes Wort. Kardinal d’Ailly schloss in dem wilden Durcheinander notgedrungen das Verhör und ließ den Angeklagten hinausführen. Bevor er den Saal verließ, bemerkte Hus noch trocken: »Ich hatte geglaubt, das heilige Konzil würde etwas bessere Disziplin zeigen.«
Dieses erste Tribunal war ein Fehlschlag gewesen.
In den nächsten Wochen fanden noch mehrere Verhandlungen statt, doch Hus war durch nichts und niemanden zum Widerruf zu bewegen. Immer wieder bewies er überragende theologische Belesenheit, überzeugende Argumentationskraft und Verhandlungsgeschick. Doch den Kardinälen lag an einem Widerruf. Nur damit würde ein Weg eröffnet, die Ketzerei in Böhmen und anderswo auszutilgen. Aber jedes Mal, wenn ihn das Tribunal zwingen wollte, seine Thesen zu verwerfen, antwortete Hus dasselbe: »Abschwören gegen das Gewissen erscheint mir als Lüge. Gott ist mein Zeuge und das Gewissen, und so bitte ich euch um Gottes willen, mir nicht die Schlinge der Verdammnis umzulegen. Ich stehe vor Gottes Gericht, der mich und euch gerecht richten wird nach Verdienst.«
Am Ende des Monats Juni war schließlich alles gesagt, alles zu Ende verhandelt. Kardinal Zabarella formulierte einen Widerruf, den man Jan Hus ultimativ zum Unterschreiben vorlegte.
Widerrufsformel für Jan Hus, aufgesetzt Ende
Juni 1415 durch Kardinal Francesco Zabarella
(übersetzt aus dem Lateinischen)
» … In allen Punkten, in denen ich angeklagt bin, unterwerfe ich mich demütig den Anordnungen, Definitionen und Zurechtweisungen des Konzils und nehme alle Abschwörungen, Widerrufe, Strafen und sonstigen Verfügungen hin, die das heilige Konzil anordnen mag ...«
Darauffolgende letzte Erklärung des Jan Hus vom
1. Juli 1415, ebenfalls übersetzt aus dem Lateinischen
»Ich, Johann Hus, in der Hoffnung ein Priester Christi: Aus Furcht, Gott zu beleidigen und in Meineid zu verfallen, bin ich nicht willens, die durch falsche Zeugen gegen mich vorgebrachten Artikel zu widerrufen, weder alle noch einzelne. Gott ist mein Zeuge, dass ich sie nicht so gepredigt, vertreten oder verteidigt habe, wie jene von mir sagten. Was die Sätze betrifft, die aus meinen Schriften ausgezogen sind, soweit korrekt wiedergegeben, erkläre ich: Falls einer davon einen
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