Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
heruntergeplumpst! Das war ein Geräusch, als er aufgeschlagen ist, ich kann euch sagen, das vergess ich nie, und wenn ich hundert Jahre alt werde … «
Schnuck zuckte und öffnete die Augen. »Ich hab einen Krampf bekommen«, flüsterte er und brachte tatsächlich ein Lächeln zustande.
»Nicht reden«, sagte ich.
»Es wird bald besser«, log Esma.
Da griff er nach meiner Hand, die immer noch auf seiner Wange geruht hatte. Er hielt sie mit erstaunlicher Kraft fest. »Versprich … mir … etwas«, bat er.
Ich nickte. »Was denn?«
Mühsam hob er den Kopf an und blickte mir in die Augen. »Ich will … ein ehrliches Begräbnis.« Dann fiel sein Kopf wieder zurück.
Ich wusste nicht, was er meinte. Natürlich würden wir ihn anständig begraben, wie kam er nur auf den Gedanken, es könnte anders sein. Ich sah hilfesuchend zu Janka hinüber, doch ihre Miene war wie immer undurchdringlich. »Ich versprech es dir«, erwiderte ich und drückte Schnucks Hand ganz vorsichtig, um ihm nicht wehzutun.
Sein Gesicht glättete sich, der Mohnsaft begann zu wirken. Sein Atem rasselte, wurde leiser, während ich weiter seine Hand hielt. So saßen wir und sahen zu, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, hob und senkte. Und dann, irgendwann, war es vorbei. Ich ließ seine Hand los und schloss ihm die Lider.
Wir legten Schnucks zerschmetterten Körper auf ein Brett, das uns jemand gebracht hatte, und trugen ihn ins Lager. Janka wusch ihn, zog seine Glieder gerade, band ihm das Kinn hoch und nähte ihn in ein festes Leichentuch ein.
»Was hat er gemeint wegen des Begräbnisses?«, fragte ich sie.
Sie sah mich durchdringend an, und da wurde mir klar, das es um etwas ging, wovon ich als Jüdin nichts wusste. »Ein frommer Wunsch«, sagte sie und seufzte. »Viele von uns haben ihn, wenn es ans Sterben geht. Wir möchten alle in geweihter Erde ruhen, damit wir am Jüngsten Tag am rechten Ort sind. Dabei wissen wir doch alle, dass uns das versagt ist.«
Sie fragte mich nicht, warum ich davon keine Ahnung hatte. Ich glaube, sie kannte mein Geheimnis damals schon längst. Deshalb sprach sie auch weiter, als sei meine Frage selbstverständlich gewesen. »Wir sind Unehrliche«, erklärte sie, »unehrlich wie die Henker, Abdecker, Bader, Schinder und Totengräber. Unsereins bekommt kein Grab auf dem Kirchhof, uns verscharrt man irgendwo auf dem Schindanger.«
Mir blieb die Luft weg. Wie war es möglich, einem Toten die letzte Ehre zu versagen? Was konnte Schnuck dafür, dass er nicht als Bauer, Bürger oder Edler geboren war? Dass er ein Leben als Fahrender geführt hatte? Was war daran unrecht?
Janka sah meine Fassungslosigkeit. »Der gerechte Gott ist nur zu den Auserwählten gerecht«, sagte sie und packte im Aufstehen ihr Nähzeug weg. »Pirlo ist schon unterwegs und fragt, wo wir Schnuck eingraben dürfen.«
Mir war ganz schlecht vor Wut. »Aber … ich hab ihm doch mein Wort gegeben«, sagte ich hilflos.
Janka tätschelte mir die Hand. »Das war recht getan, Kind«, meinte sie tröstend, »so hat er leichter gehen können.«
Wir begruben Schnuck am nächsten Tag vor der Mauer des Kirchhofs von Sankt Stefan. Kein Priester hatte sich bereitgefunden, einen Gottesdienst zu lesen. Stattdessen war Ciaran ans Grab getreten und hatte eine kleine Zeremonie abgehalten. Er sagte lateinische Gebete auf, sang ein Kirchenlied und sprach Fürbitten. Dann verabschiedeten wir uns einer nach dem anderen von unserem toten Freund. Pirlo und Schwärzel schaufelten die Grube zu, und die Zigeuner stellten ein kleines Holzkreuz auf, das der Elefantenmann geschnitzt hatte. Wir Frauen legten ein paar Blumen auf die aufgeworfene schwarze Erde und kehrten traurig zu unseren Wagen zurück.
Dann ging alles ganz schnell.
Als ich ins Lager kam, sah ich schon von Weitem, dass zwei Männer vor meinem Wagen warteten. Sie trugen Judenhüte – einer von ihnen die Konstanzer Art mit einem messingnen Knopf oben auf dem Kegel, der andere eine spitze gelbe Trichtermütze mit schmaler Krempe. Es war nicht ungewöhnlich, dass auch Juden mich aufsuchten, deshalb dachte ich mir zuerst nichts, als ich auf die beiden zuging. Ich erkannte den Rabbi, mit dem ich bei meiner Ankunft gesprochen hatte, und grüßte ihn respektvoll: »Schalom, Meister Herschel, Euer Tag sei voller Freude. Wie kann ich Euch helfen?«
Der Rabbi hob abwehrend die Hände. »Nein, nein, es ist eher so, dass ich dir helfen will, Sara bat Levi«, erklärte er. »Hier bringe ich dir jemanden,
Weitere Kostenlose Bücher