Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
Vom Netzwerk:
der vielleicht etwas über den Verbleib deiner Familie weiß.«
    Ich war wie vom Schlag gerührt! Eine Augenblick lang konnte ich nichts sagen, mich nicht bewegen. Ich stand einfach nur da und rang um Fassung. Dann löste sich die Starre. Ich bat die beiden Männer in den Wagen.
    »Mein Name ist Josua ben Moses«, begann der Fremde drinnen, »und ich komme aus der Reichsstadt Nürnberg. Meine Geschäfte führen mich hin und wieder hierher an den Bodensee, und dann besuche ich jedesmal meine Schwester Gutla, die hier in der Stadt verheiratet ist.«
    »Und Gutla ist wiederum eine Freundin meiner jüngsten Tochter«, ergänzte der Rabbi. Sein langer, welliger Bart glänzte wie gehämmertes Silber. »Nun habe ich ja versprochen, mich wegen deiner Familie umzuhören, Sara bat Levi, und ich habe mein Versprechen gehalten.« Er lächelte zufrieden, und ich spürte, wie meine Hände zitterten.
    Josua ben Moses kratzte sich am Ohr, als er weitersprach. »Wenn ich recht verstanden habe, dann heißt Euer Vater Levi Lämmlein?«
    Ich nickte. Sagen konnte ich nichts.
    »Nun«, fuhr er fort, »vor ungefähr zwei Jahren hatte ich zu Würzburg ein Treffen mit einem Domherrn, dem ich eine größere Summe lieh. Ich suchte Unterkunft im Judenviertel, aber beim Rabbi wohnten zu der Zeit so viele Schüler, dass ich dort nicht bleiben konnte. Er verwies mich in den Hekdesch, wo ich schließlich die Nacht verbrachte. Gerade als ich am Morgen bei der Frühsuppe saß, verteilte der Schammes Gaben an die Armen. Er rief laut die Namen, und die Leute traten vor und bekamen ein paar Münzen, ein Brot oder einen Arm voll Feuerholz. Und einer der Namen lautete auf Levi Lämmlein. Daran erinnere ich mich ganz genau, weil der Mann zuerst nicht da war und der Schammes zweimal rufen musste.«
    »Habt Ihr ihn angeschaut?«, fragte ich hastig. »Wie sah er aus?«
    Der Geldverleiher hob die Schultern. »Nun ja, ich habe nicht auf ihn geachtet … ein alter Mann, nicht besonders groß, mit Bart und grauem Haar, mehr kann ich nicht sagen. Ach, da fällt mir ein, dass ihm der Schammes noch eine Süßigkeit in die Hand drückte. Für … ich weiß nicht mehr, was er sagte, irgendein Mädchenname.«
    »Jochebed?«, stieß ich hervor.
    Er verzog bedauernd das Gesicht. »Tut mir leid, ich erinnere mich nicht.«
    Ich ergriff seine Hand und küsste sie. »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken kann, Josua ben Moses«, sagte ich. »Und Euch, Rabbi. Mögen Eure Tage gesegnet sein.«
    »Und die deinen«, antwortete der Rabbi.
    Als sie gegangen waren, saß ich wie erschlagen auf meinem Bettsack und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Wieder einmal war in meinem Leben von einer Stunde auf die nächste alles anders geworden. Ich fragte mich, ob denn niemals Ruhe einkehren würde. Da hatte ich mich gerade im Leben eingerichtet, hatte meinen Frieden gefunden, so gut das eben möglich war. Die Hoffnung, meine Eltern und Jochi wiederzusehen, hatte ich längst aufgegeben, ich hatte mich damit abgefunden, dass ich sie verloren hatte, ja, ich hatte nur noch selten an sie gedacht. Der Schmerz war vorbei, es ging mir gut. Die Fahrenden waren meine Familie geworden, Ciaran gehörte zu mir. Ich verdiente meinen Unterhalt als Medica, es gab nichts, worüber ich mir Sorgen zu machen brauchte. Es war vielleicht nicht die silberne Burg, von der ich immer geträumt hatte, aber es war recht so. Und nun? Ich fühlte mich wie aus dem Paradies vertrieben. Da war wieder mein altes Leben. Ich dachte an Köln, an meine Kindheit, an Salo, der eine ferne, schöne Erinnerung war. An Chajim, meinen Peiniger, der seine Suche nach mir sicher schon vor langer Zeit aufgegeben hatte. An meine Zeit mit Onkel Jehuda, dem ich so viel verdankte. An Jettl, die wie eine Großmutter zu mir gewesen war. Und mit einem Mal vermisste ich sie wieder schmerzlich. Verwundert horchte ich in mich hinein: Die alten Wunden taten wieder weh. Und noch etwas kam zurück: Meine Sehnsucht nach den Gebräuchen und der Geborgenheit des jüdischen Lebens. Adonai, wie lange war ich schon nicht mehr in lebendigem Wasser untergetaucht? Wie lange hatte ich nicht mehr den Duft der Besamimbüchse geschnuppert, den Frieden des Ruhetags genossen? Wie viele Male zu Pessach kein ungesäuertes Brot gegessen? Wie lange schon nicht mehr in der Thora gelesen? Wie viele Verbote mochte ich gebrochen haben? Wie oft hatte ich am Schabbat gearbeitet, wie oft Fleischiges zusammen mit Milchigem gegessen? Ich lebte schon so lange nicht

Weitere Kostenlose Bücher