Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
ein Reiter aus der Gruppe, ein kleines, sich windendes Bündel Mensch fest an den Leib gepresst. Wie befohlen, galoppierte er nach Westen.
Rittergut Riedern bei Lauda, Sommer 1394
Und warum kommt der Falke immer wieder zurück?« Der kleine Junge mit dem dichten strohblonden Haar sah mit blitzenden Augen zu seinem Vater auf.
»Weil er gelernt hat, dass die Faust der beste Platz für ihn ist.« Heinrich von Riedern löste die Fußfessel des Gerfalken aus der Öse der hölzernen Sitzstange und nahm den Vogel mit dem Handschuh auf. Das Tier flatterte aufgeregt, ließ sich aber durch ein paar gemurmelte Worte beruhigen. »Schau, das ist mein Lieblingsfalke«, lächelte der grauhaarige Ritter und fütterte ein Stückchen rohes Fleisch, das der Vogel gierig verschlang. »Hat mich so viel gekostet wie ein gutes Streitross. Sie heißt Nimue.«
»Wie die Fee aus dem Teich«, rief Ezzo.
»Ah, du hast es dir gemerkt.« Heinrich von Riedern fuhr seinem kleinen Sohn liebevoll über den Kopf. Erst gestern hatte er ihm die Geschichte vom Zauberer Merlin und der unglückbringenden Herrin vom See erzählt. »Nimue liebt die Jagd über unseren Fischteichen. Heuer hat sie schon über siebzig Reiher erledigt. Sie ist pfeilschnell.«
Der Ritter strich dem Falken über die helle, gefleckte Brust und setzte ihn dann vorsichtig wieder zurück auf seinen Platz. »Das dort drüben ist Kolander, den hab ich noch nicht lange.« Er wies auf einen jungen grauen Sakerfalken, der reglos und schüchtern in einer Mauernische hockte.
»Warum hat er eine Mütze auf?«, wollte Ezzo wissen.
»Das ist eine Falkenhaube aus Leder, mit Federn und Silberstückchen verziert. Kolander ist noch neu, weißt du, und es beruhigt ihn, wenn er nichts sieht. Am Anfang musste ich ihm die Lider durchstechen und zunähen, so aufgeregt war er. Jetzt kann ich ihm die Haube schon für längere Zeit abnehmen, ohne dass er wie wild flattert. Ich schätze, in ein paar Monaten wird er so weit sein, dass ich mit ihm arbeiten kann.«
»Welche Vögel jagt er dann?«
»Mit Sakerfalken jagt man Reiher«, erklärte Heinrich von Riedern geduldig. »Gerfalken wie Nimue gehen am besten auf Kraniche, wenn sie auf dem Durchzug nach Süden sind, und Wanderfalken taugen gut als Jäger auf Wasservögel, also Enten oder Wildgänse. Jetzt komm, sonst regt sich Kolander auf.«
Ezzo folgte seinem Vater nach draußen in den Burghof. »Nimmst du mich einmal mit auf die Beiz? Bitte!«, drängelte er. »Ich bin auch ganz brav!«
Heinrich von Riedern lachte; die alte Kampfnarbe auf seiner linken Wange bildete dabei unregelmäßige Zacken. »Da musst du erst noch ein bisschen größer werden, Junge. Die Jagd ist nichts für kleine Burschen wie dich. Aber nur Geduld, die Zeit wird kommen. Nun lauf, deine Mutter wartet sicher schon auf dich.«
Er versetzte Ezzo einen leichten Klaps, und der trabte davon. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ihm der Ritter nach und tat einen zufriedenen kleinen Seufzer. Der Junge war sein Ein und Alles, ein hübscher Kerl, robust, aufgeweckt und klug. Wie sehr hatte er sich mit seiner Frau einen Sohn gewünscht, einen Erben für Riedern. Wie viele Ländereien hatte er der Kirche gestiftet, wie viele Kerzen entzündet. Wie inbrünstig hatten sie gebetet, und doch war alles vergebens gewesen. Alt waren sie miteinander geworden, seine Irmingard und er, glücklich waren sie gewesen, so gut es unter diesen Umständen möglich war, aber auf ihrem Bund hatte kein Segen gelegen. Natürlich, er hätte sie verstoßen können, eine zweite Frau nehmen, die Blutslinie fortzuführen. Doch das hatte er nicht übers Herz gebracht. Aus Liebe, und weil er ihr nicht die alleinige Schuld geben wollte. Jetzt war sie tot und begraben, und was er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte, war eingetreten. Er hatte sich eine Küchenmagd ins einsame Bett genommen, und sie endlich hatte ihm das geschenkt, was sein Weib nie vermocht hatte. Einen gesunden, kräftigen Sohn. Heinrich von Riedern wischte sich verstohlen über die Augen.
Ezzo strolchte über den engen Burghof. Neugierig sah er eine Zeitlang zu, wie der Zeugmeister in einem Kessel frisch gekratzten Salpeter läuterte und wackelte dabei mit seinen schmutzigen Fingern an einem lockeren Milchzahn. Dann beobachtete er ein paar Knechte, wie sie Eimer um Eimer Wasser aus der Zisterne holten und ins Sudhaus trugen. Es duftete nach Malz und frischer Maische, der typische Geruch an Biertagen. Auch Ezzo bekam wie alle Kinder seinen Anteil
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