Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Bier bei Tisch, ein halbes Mäßlein zu Mittag und ein halbes zu Abend. Das regelte die Hofordnung, genauso wie die Essenszeiten. Ob wohl bald der Turmwächter zur Abendmahlzeit blasen würde? Ezzo spürte schon den Hunger. Er ging weiter, scheuchte ein bisschen die Tauben, dann die Ziegen herum, guckte in den Fischkasten, ob heute ein besonders dicker Karpfen dabei war und stibitzte schließlich ein Ei aus dem Korb vor dem Kücheneingang. Gierig bohrte er mit dem Daumennagel ein Loch hinein und schlürfte das Innere, wobei ihn Rumpold, der Koch, entdeckte und wegscheuchte.
Atemlos rannte er durchs offene Burgtor in den schmalen Zwinger. Vor der Pferdeschwemme balgten sich ein paar Katzen, und er wollte sich gerade zu ihnen ins frisch gemähte Gras kauern, als er das Donnern von Hufen hörte. Aufgeregt rappelte er sich hoch und flitzte zum Burganger hin, einer schönen großen Wiese am Flussufer der Erf. Welch ein Anblick bot sich ihm da! Ein Ritter, das herrlichste Wesen auf der ganzen Welt! Der polierte Brustpanzer blitzte so hell im Sonnenlicht, dass Ezzo blinzeln musste. Auf dem topfartigen Helm mit den länglichen Augenschlitzen, der seinen Träger so gefährlich aussehen ließ, schwankte fröhlich ein schneeweißer Federbusch. Der Ritter hatte seine Lanze in der Halterung am Sattel aufgestellt und zügelte einhändig sein nervös tänzelndes Pferd. Und was für ein Ross! Rabenschwarz, riesig, die Mähne in Zöpfen herunterhängend, die Nüstern gebläht. Sein Schweif peitschte die staubige Luft, die Hufe stampften, die Augen rollten, dass man das Weiße sah. Der Reiter klemmte die Lanze ein, unter den rechten Arm, bis sie fast waagerecht stand, dann gab er seinem Rappen die Sporen. In gestrecktem Galopp sprengte er auf die Turnierpuppe zu, ein hölzernes Gestell mit einem Turban wie ein Sarazene. Ein gellender Kriegsschrei, dann hatte die Lanze den ausgestreckten Holzarm des Sarazenen getroffen, an dem ein runder Schild befestigt war. Die Figur drehte sich durch den Aufprall blitzschnell um die eigene Achse; am anderen Arm hing ein Seil mit einem schweren Sack, der nun herumschwenkte. War der Reiter nicht schnell genug, traf ihn der Sack in den Rücken und fegte ihn vom Pferd. Ezzo hatte schon den Mund zum Schrei geöffnet, aber sein Ritter war glücklich vorbei, der Sarazene rotierte ein paar Mal um die eigene Achse und blieb dann stehen. Der Ritter trabte gemächlich zurück und stieg vor Ezzo ab.
»Herr Friedrich«, schrie der Junge aufgeregt, »Herr Friedrich, das war ein herrlicher Treffer! Ihr seid der beste Ritter im ganzen Land, ich schwör’s!«
Friedrich von Riedern, der jüngere Bruder des Burgherrn, nahm den Helm vom Kopf und ließ sich von einem Knecht Harnisch und Lederarmschutz abschnallen. Er musterte den Knaben mit gerunzelten Brauen.
»Wenn ich groß bin, will ich auch solch ein Ritter werden wie Ihr«, plapperte Ezzo, ganz rot im Gesicht vor Begeisterung. »Dann will ich mit Euch in den Krieg ziehen, als Euer Knappe. Wann zieht Ihr denn in den Krieg?«
»Gar nicht!« Friedrich von Riedern spuckte die beiden Worte förmlich aus.
»Aber warum nicht?« Ezzos Augen wurden groß und rund. »Und wenn Ihr nicht in den Krieg zieht, darf ich dann wenigstens kämpfen und Ritter werden? Helft Ihr mir dabei?«
Friedrich von Riedern beugte sich langsam zum Sohn seines Bruders hinunter und lächelte freundlich. »Du kannst niemals Ritter werden«, sagte er mit zuckersüßer Stimme. »Das können nur Männer von Geblüt und hoher Geburt.«
»Aber ich bin doch von hoher Geburt!«, widersprach der Fünfjährige zaghaft. »Herr Heinrich ist mein Vater.«
»Und deine Mutter, hm? Wer ist die? Lieschen vom Gänsebrunnen, was?« Ezzos Onkel brach in ein scheinbar fröhliches Lachen aus. »Schau, Kleiner, du und ich, wir haben etwas gemeinsam: Wir können beide kein Ritter sein. Ich, weil meine Beine zu schwach sind, um mich zu tragen, und du, weil du ein Bastard bist. So ist das Leben.« Er zog eine schräge Grimasse und kniff Ezzo leicht in die Backe. Dann ergriff er die Krücken, die ihm der Knecht hinhielt, drehte sich um und schleppte sich zum Burgtor. Seine verkrüppelten Beine schlenkerten merkwürdig unter dem massigen Oberkörper, als gehörten sie nicht recht zu ihm.
Abends, als Ezzo mit seiner Mutter allein war, stellte er die Frage, die ihn den ganzen Tag beschäftigt hatte.
»Mutter? Was ist ein Bastard?«
Lies spürte einen Stich im Herzen. Bisher hatte sie ihrem Sohn nichts erklären
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