Die Silberne Festung
aber doch sehr rege Diskussion zwischen seinem Stellvertreter Alexei Iwanowitsch Rhomerdunow, dem Oberbefehlshaber der Luft- und Raumverteidigungskräfte, und einem seiner Offiziere auffiel. Rhomerdunow, der mindestens 30 Jahre älter als sein übereifriger Stabsoffizier war, drückte ihn fast gewaltsam auf seinen Stuhl zurück.
»Irgendwelche Probleme, Rhomerdunow?«
Alle starrten jetzt den 70jährigen Oberbefehlshaber der Luft- und Raumverteidigungskräfte an. Rhomerdunow setzte sich auf und warf seinem Stabsoffizier einen wütenden Blick zu, bevor er antwortete: »Nein, Genosse Minister.«
Csilikow nickte und wollte eben seine Befehle erteilen, als Rhomerdunow sich räusperte. »Entschuldigen Sie, Genosse Minister…« Diesmal sah er besorgt zu seinem Stabsoffizier hinüber. »… vielleicht gäbe es doch wichtige Anmerkungen zu dieser Offensive …«
Die anderen erstarrten und bedachten Rhomerdunow mit so vorwurfsvollen Blicken, als habe er den Verteidigungsminister soeben persönlich beleidigt. Csilikow gab keine Antwort. Im nächsten Augenblick stand Rhomerdunows Stabsoffizier unaufgefordert auf und nahm Haltung an.
Der Offizier – dem Gesicht nach ein Ukrainer, dachte Csilikow – war groß, schlank und breitschultrig. Als er zu sprechen begann, fiel dem Verteidigungsminister sein Name ein.
»Genosse Minister, ich bin…«
»Ich weiß, wer Sie sind. Generalmajor Goworow. Als erster sowjetischer Raumfähren-Kosmonaut und Held der Sowjetunion sind Sie uns allen bekannt.« Csilikow bohrte in mühsam unterdrücktem Zorn die rechte Faust in die linke Handfläche. »Ihr Beitrag zu wissenschaftlichen und militärischen Erfolgen unseres Landes entschuldigt manche … Ungezogenheiten. Da Sie sich das Recht herausgenommen haben, vor dem Militärrat zu sprechen, fahren Sie bitte fort. Ich bin sicher, daß jeder hören möchte, was der neue Kommandeur der Raumverteidigungskräfte vorzutragen hat.«
»Entschuldigen Sie, Genosse Minister.« Das war Goworows ganze Entschuldigung. Auch ohne gegen die Etikette verstoßen zu haben, hätten die meisten Offiziere unter dem Rang eines Dreisternegenerals weiche Knie bekommen, wenn sie vor diesem Gremium hätten sprechen sollen. Aber dem jungen Goworow schien das nichts auszumachen.
»Bitte weiter, Genosse General.«
Goworow stand weiter stramm. »Ich bin der Überzeugung, daß das Iran-Unternehmen letzten Endes fehlschlagen wird.«
Sein Vorgesetzter Rhomerdunow starrte ausdruckslos geradeaus, als mache er sich bereits aufs Fallbeil gefaßt. Die Aufmerksamkeit der anderen galt jetzt dem verblüfften Marschall Csilikow.
»Ich habe gehört«, sagte der Verteidigungsminister, »daß Ihre Art nicht gerade subtil ist. Wie ich sehe, stimmt das.« Er sah zu Rhomerdunow hinüber, der seinen Blick jedoch nicht erwiderte. Hmmm, das alte Streitroß hat also Mut genug, sich gegen die Partei aufzulehnen, dachte Csilikow, selbst wenn es dazu diesen Goworow benützt …
Der Generalmajor deutete Csilikows Schweigen als Aufforderung fortzufahren. »Die Amerikaner haben ein Gerät, das sie nicht nur vor einer bevorstehenden Invasion warnen, sondern auch US- und NATO-Verbände führen kann. Dieses Gerät, Genosse Minister, ist die Armstrong-Raumstation.«
»Die Raumstation? Die befindet sich doch erst seit einigen Monaten im Orbit!«
»Richtig, aber sie ist voll betriebsfähig«, stellte Goworow fest. »Wie wir alle wissen, haben die Amerikaner ihre illegal im Weltraum stationierten Thor-Abfangraketen bereits unter Einsatzbedingungen getestet. Obwohl dieser Test nicht völlig zufriedenstellend ausgefallen ist …«
»Das ist noch übertrieben, Goworow«, unterbrach Chromejew ihn. »Die Amerikaner haben ihn als Test unter Einsatzbedingungen bezeichnet, aber sie haben dafür gesorgt, daß optimale Ergebnisse erzielt wurden. Trotz dieser Choreographie hat unsere Aufklärung eindeutig mehrere Fehltreffer von Thor-Raketen festgestellt. Der angebliche Test ist ein durchsichtiges Propagandamanöver gewesen…«
»Unsere Aufklärung hat den Wirkungsgrad der Thor-Raketen auf nur dreiundachtzig Prozent berechnet«, stimmte Goworow zu, »was nach Ansicht meines Stabes im Kriegsfall eine Effektivität von fünfzig Prozent bedeuten würde. Aber hier geht’s nicht um die Thor-Raketen, Genosse Minister. Größere Sorgen macht meinem Stab das hochentwickelte Sensorensystem der Raumstation – vor allem ihr phasengekoppeltes Radarsystem, das weit leistungsfähiger als ursprünglich angenommen ist.
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