Die silberne Göttin
Rätsel, genau wie ich. Wir sprachen darüber, dass es ein Wilddieb gewesen sein könnte, aber ich wüsste keinen Grund, warum ein Wilddieb auf dich schießen sollte. Ich bin sowieso nicht allzu streng mit ihnen. Sicher brauchen sie ab und zu einen Hasen für ihren Kochtopf." Er blickte finster vor sich hin. "Ich will verdammt sein, wenn ich den kleinsten Hinweis habe, dem ich nachgehen könnte."
Iantha schaute lange aus dem Fenster. "Ich … ich glaube, ich kann mich an noch etwas erinnern, was diese Nacht betrifft."
"Wirklich?" Rob beugte sich vor. "Woran?"
"An einen Geruch."
Er runzelte die Stirn. "Der Geruch, den man mit der körperlichen Liebe verbindet?"
"Nein, auch wenn ich das ein wenig beunruhigend finde. Er war da …"
"Es tut mir Leid." Rob nahm ihre Hand. "Ich fürchte, dagegen kann ich nichts tun."
"Nein. Vielleicht gewöhne ich mich ja daran. An sich ist er ja nicht unangenehm." Iantha kniff die Augen zusammen, bemüht, sich den anderen Geruch ins Gedächtnis zurückzurufen. "Ich roch ihn, als Lord Sebergham hier war. Er hatte einen ähnlichen Geruch wie der, an den ich mich erinnere. So ähnlich wie Wein, etwas Alkoholisches und … Tabak, glaube ich."
Rob nickte. "Absinth. Ich habe es auch an ihm gerochen, und ich glaube, er raucht Zigarren."
"Absinth? Das ist ein starker Likör, nicht wahr?"
"Ja, ein außerordentlich starker Likör, mit Wermut versetzt. Manche sagen, dass er wahnsinnig macht, obwohl ich noch nie jemanden gekannt habe, der davon verrückt geworden ist. Doch ich habe es nie selbst ausprobieren wollen, noch nicht einmal in meiner schlimmsten Zeit. Sebergham muss es wirklich sehr langweilig sein, dass er solch einem riskanten Zeitvertreib nachgeht."
Rob rieb sich nachdenklich das Kinn. "Ich frage mich, ob ich herausbekommen kann, wo er gestern Nachmittag war? Ich werde alles daran setzen dahinterzukommen."
"Aber du denkst doch nicht, dass er es war, der auf uns geschossen hat? Als er heute hierher kam, zeigte er keinerlei Anzeichen von Schuldbewusstsein." Iantha schaute ihn an.
"Ich bin mir nicht sicher, ob er sie zeigen würde, wenn er schuldig wäre. Er ist viel zu beherrscht."
"Er scheint voller Lebensüberdruss zu sei. Und so kalt." Iantha erschauderte. "Ich mag ihn nicht."
"Man kann wirklich nicht viel Liebenswürdiges an ihm finde – ganz anders als bei meinem Taugenichts von Cousin." Rob lachte in sich hinein und schüttelte den Kopf. "Sam bringt mich immer zum Lachen, selbst wenn wir über ernste Themen reden."
Iantha lächelte. Sie hatte das Gleiche gedacht. "Ja, ich mag Sam sehr gerne. Aber ich habe mich gefragt … Manchmal redet er, als wäre er neidisch auf dich."
"Sam?" Rob schaute sie ungläubig an. "Er hat wenig Grund, neidisch zu sein."
"Das würde ich nicht sagen. Du bist viel größer und siehst besser aus als er. Es scheint ihn auch nach deinem Besitz und Titel zu gelüsten."
Rob schien überrascht, dann lächelte er. "Du meinst, ich sehe besser aus als er?"
Iantha spürte, wie sie rot wurde. "Nun … ja, das würde ich so sagen."
Er beugte sich zu ihr und küsste sie zärtlich. "Ich danke dir, mein Schatz. Ich bin sehr glücklich, dass du das so siehst. Glaub mir, auch wenn er nicht gerade viel hermacht, kann er ganz schön austeilen, das kann ich dir bestätigen. Und wenn du Neid an ihm wahrzunehmen glaubst, dann will er mich damit nur necken. Das hat er schon immer so gemacht."
"Manchmal sagen Menschen im Scherz, was sie wirklich denken und was sie sonst nie sagen würden."
"Das stimmt, aber nicht bei Sam. Er hat von seinem Vater einen sehr hübschen Besitz geerbt und ein Haus in London. Und als mein Makler ist er außerdem ganz schön reich geworden. Jeder hat die gleichen Anteile an unseren Unternehmen."
"Ein hübscher Besitz und ein nettes Haus wiegen kaum die Geschichte und die Größe von The Eyrie auf. Und ich würde wetten, dass du ihm Geld geliehen hast, damit er investieren konnte."
Ihr Gatte schaute sie verwundert an. "Nun, ja. Aber das war vor Jahren. Er hat mir alles längst zurückgezahlt. Sam und ich sind eher wie Brüder. Ich habe ihn schrecklich vermisst, als ich in Indien war. Vielleicht sind Vijaya und ich deswegen so enge Freunde geworden – auch wenn Vijaya keinen Mangel an Verwandten hatte. Kommt er in deinem Roman vor?"
"Oh, gewiss. Er ist eine so schillernde Figur."
"Das ist er in der Tat. Und wen hast du zum Vorbild für deinen Helden genommen?"
Iantha senkte den Kopf und schaute verlegen auf ihre Hände.
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