Die silberne Göttin
"Dich."
Rob griff nach ihr.
"So ist es richtig."
Nach einigen langweiligen Tagen, eingesperrt im Schloss, fühlte sich Iantha, als müsste sie gleich einen Schreikrampf bekommen. Rob hatte ihr strikt verboten auszureiten, bevor sie nicht wussten, wer der unbekannte Schütze war. Sie fühlte, dass sie nahe daran war, ihrem wieder erwachten Temperament die Zügel schießen zu lassen, und das wäre nun wirklich nicht fair gewesen. Er versuchte ja nur, sie zu schützen. Es wäre dumm von ihr, seinen Anweisungen zu trotzen.
Also wollte sie jetzt mit ihrem Malzeug in der Hand zu den Zinnen hinaufsteigen, um sich ein neues Motiv zum Malen zu suchen. Sie hatte keine Lust, den ganzen Weg hinunter durch die Eingangshalle bis zum alten Schlossgebäude zu gehen, nur um dann zu den Brustwehren zurückzuklettern. Deshalb nahm sie den Weg über den Flur, auf dem ihr Schlafzimmer lag.
Zumindest dachte sie das.
Nach einigen Minuten des Herumirrens hatte Iantha immer noch nicht den gesuchten Ausgang gefunden. Wie es schien, war sie in einem ihr völlig unbekannten Flügel des Schlosses gelandet. Endlich entdeckte sie eine Tür, die zu dem gewünschten Ausgang führen mochte.
Sie öffnete sie und spähte vorsichtig hinein. "Ach du meine Güte! Bitte entschuldigen Sie. Ich habe mich schon wieder verirrt."
Ein verblüffter Vijaya blickte von der Schriftrolle auf, die er gerade studierte. "Lady Duncan! Bitte, kommen Sie doch herein."
"Oh nein. Ich wollte Sie nicht stören. Ich suche den Weg zum alten Teil des Schlosses."
Vijaya stand auf. "Sie stören mich überhaupt nicht. Doch ich bedauere, dass ich diese Tür nicht kenne."
Iantha schaute sich voller Erstaunen um. Das hier schien kein Zimmer in einem englischen Schloss zu sein, eher eine aus dem Orient hierher gezauberte exotische Welt. Sie erblickte geschnitzte Sessel und mit Elfenbein eingelegte Bänke. Große, massive Truhen mit noch mehr geschnitzten und gemalten Bildern darauf. Schimmernde Seidenstoffe schmückten die Wände, und auf einem kleinen Tischchen nahe einer der Wände standen einige Figürchen.
"Fantastisch! Haben Sie das alles aus Indien mitgebracht?" Er bat sie mit einer Handbewegung einzutreten. "Ja, natürlich. Ich dachte, dass es mir gegen das Heimweh helfen würde."
Iantha betrat den Raum. "Ist das schön! Ganz und gar nicht wie die strengen englischen Möbel." Sie wandte sich zu ihrem Gastgeber um. "Hatten Sie großes Heimweh?"
Vijaya seufzte. "Nur manchmal." Er ging zum Kamin und stellte sich vors Feuer. "Ich empfinde diese lang anhaltende Kälte als ziemlich belastend."
"Darf ich mich etwas umsehen?"
"Natürlich." Er machte eine einladende Handbewegung. "Schließlich verdanke ich dies der Großzügigkeit Ihres Gatten."
"Oh, so dürfen Sie das aber nicht sehen. Wir fühlen uns durch Ihre Anwesenheit geehrt. Aber ich möchte mir so gerne diese zauberhaften Sachen ansehen." Sie blieb vor einer fein gemeißelten Steinplatte stehen und kniff ein wenig die Augen zusammen, um die Verzierungen besser erkennen zu können. "Was ist –" Sie brach ab und wurde puterrot. Die Gestalten stellten gut gebaute Männer und schöne Frauen dar, die … ja, die sich der Liebe hingaben!
Und alle trugen ein strahlendes, glückliches Lächeln auf ihren Gesichtern.
Vijaya stellte diskret einen Wandschirm vor die Steinplatte. "Das hier schmückte einmal einen Tempel, der jetzt, vom Alter zernagt, zerfällt."
"Wollen Sie damit sagen, dass … dass das hier einmal Teil eines religiösen Gebäudes war?" Man konnte ihrer Stimme anhören, dass sie es kaum glauben konnte.
Er lächelte ein wenig. "Ja. Für uns Inder hat die Liebe nichts Peinliches. Wir betrachten sie als eine Steigerung der Beziehung zwischen den Göttern und den Göttinnen. Bei uns dient die erotische Kunst einem edlen Zweck."
"Ich verstehe." Iantha dachte über diese äußerst fremdartige Vorstellung nach. "Ich habe gehört, dass Sie auch Göttinnen haben – was ich sehr ungewöhnlich finde. Wir haben nur einen Gott – und er wird als Mann dargestellt."
"Die meisten Respektspersonen sind männlich."
Sie runzelte Stirn. Das entsprach sicher der Wahrheit. Respektspersonen, die alles missbilligten, was Frauen … Nun ja, die meisten handelten jedenfalls so, verbesserte sie sich. Ihren eigenen Mann musste sie von dieser Anklage freisprechen.
"Wir haben viele Göttinnen", fuhr Vijaya fort. "Auch Shakti, welche die Erde selbst repräsentiert."
"Ist Shakti nicht der Name von Robs erster Frau?" Iantha
Weitere Kostenlose Bücher