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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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schuldig, Eva.»
    Mit diesen Worten verließ der Kaufmann das Zimmer, ohne darauf zu warten, dass Susanne mit dem Bier zurückkam.
     
    Eva blieb nachdenklich zurück. Sie hatte die Worte des Fremden aus der Kutsche nicht zufällig wiederholt. Und nicht zum ersten Mal. Sechs Wochen war sie nun in der Stadt, und keine davon war vergangen, ohne dass sie nicht an die merkwürdigen Worte des Silberschmiedegesellen gedacht hatte. Oder an seine seltsame Zeichnung, die sie als ein Tier dargestellt hatte.
    Gestern hatte Eva am Fenster gestanden und auf die Straße hinuntergesehen. Ein Hündin, abgemagert bis auf die Knochen, hatte im Rinnstein nach essbaren Abfällen gesucht. Ein Lehrbube aus der gegenüberliegenden Kannengießerei war mit einem Stück Brot und einer Scheibe Speck auf die Straße getreten, um sein Mittagsmahl zu halten. Kaum hatte die Hündin den Speck gerochen, war sie zu dem Buben geeilt und winselnd um seine Beine gestrichen. Als der Junge nach ihr trat, sprang sie aufjaulend zur Seite, fletschte die Zähne und knurrte bedrohlich. Der Bube brach ein Stück von seinem Brot ab und hielt es der Hündin hin. Sofort vergaß sie das Knurren und kam schwanzwedelnd näher, doch bevor sie nach dem Brot schnappen konnte, trat ihr der Junge erneut kräftig in die Seite, dass sie aufheulte und ein paar Meter die Gasse entlangflog. Zwei- oder dreimal wiederholte sich dieses grausame Spiel, ohne dass es der Hündin gelang, auch nur einen Bissen Brot zu ergattern. Kopfschüttelnd hatte Eva sich abgewandt. Das unterwürfige Verhalten des Tieres hatte sie angewidert.
    Aus dem Erdgeschoss drangen Geräusche in die Wohnstube herauf. Susanne war zurückgekehrt. Am Lärm, den sie in der Küche veranstaltete, erkannte Eva, dass ihre Laune nicht die allerbeste war.
    Eva seufzte. Sie sehnte sich nach Frankfurt zurück. In diesem Moment wäre sie am liebsten wieder ein Kind, frei von aller Verantwortung.
    Hatte der Fremde Recht gehabt? War sie ein Tierchen? Vielleicht war es so. Aber eine Hündin, die dem schmeichelte, der sie schlug, war sie nicht.
    Eva richtete sich kerzengerade auf. «Ich werde die, die ich sein möchte», murmelte sie leise vor sich hin. «Eva nämlich.»
    Anders als ihre Mutter. Das, was der berühmten Pelzhändlerin wichtig gewesen war – Ruhm, Erfolg, Macht und Reichtum –, war ihr nicht wichtig. Für sie war die Liebe die Essenz ihres Lebens. Liebe, Geborgenheit und Wärme waren die Dinge, nach denen sie strebte.
    «Ich bin anders als meine Mutter», sagte sie halblaut vor sich hin. «Ich werde am Ende meines Lebens nicht mit vollen Händen und leerem Herzen dastehen. Meine Mutter wollte geachtet und gefürchtet werden, ich aber möchte geliebt sein.»
    Dann ging sie entschlossenen Schrittes in die Küche.
     
    Als sie Susanne sah, die noch immer den Reif auf dem Kopf trug, flammte wieder Wut in ihr auf. Doch dann besann sie sich auf ihre Worte von gerade eben, und statt Susanne den Ring aus den Haaren zu ziehen, sagte sie nur: «Es ist an der Zeit, dass wir uns um eine Magd und eine Köchin kümmern.»
    Susanne nickte: «Allerdings. Ich habe nämlich keine Lust, auch nur noch einen Tag länger das Geschirr zu spülen. Am Ende stehe ich noch am Waschtrog. Ich habe mich heute bereits umgehört. Morgen früh wird ein Mädchen aus dem Umland kommen, um hier als Magd vorzusprechen. Nun, ich habe ihr bereits gesagt, dass sie sechs Groschen Wochenlohn bei freier Kost und Behausung erhält.»
    Eva vergaß ihre guten Vorsätze und trat dicht vor Susanne. Sie blickte ihr fest in die Augen und sagte: «Es ist gut, dass du dich gekümmert hast. Doch die Entscheidungen in diesem Hause treffe ich. Ich werde selbst mit ihr sprechen.»
    Susanne lachte spöttisch: «Meinst du etwa, du verstündest mehr von der Haushaltung als ich? Nein, meine Liebe, das tust du nicht. Ich habe jahrelang einen Haushalt geführt, ich habe Mägden Anweisungen erteilt, ich kann beurteilen, ob eine zum Arbeiten taugt oder nicht.»
    «Mag sein, dass du das alles kannst und weißt, doch die Herrin im Haus bin ich. Und du wirst meinen Anweisungen Folge leisten. Wenn dir das nicht passt, dann …»
    «Ja? Was ist dann? Ich höre? Willst du mich dann rausschmeißen, ja? Die eigene Schwester auf die Straße setzen, wie?»
    Susanne hatte die Hände in die Hüften gestützt und den Körper beim Sprechen weit nach vorn gebeugt. Aus ihren Augen sprühten Funken.
    Eva fing an zu zittern. Was ist bloß mit mir los?, fragte sie sich. Susanne hat sich

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