Die Silberschmiedin (2. Teil)
gut», beschloss Eva. «Versuchen wir es mit dir. Doch zuerst zeige ich dir das Haus. Die Schultin, meine Schwester Susanne, wird uns dabei begleiten.»
Susanne zeigte Bärbe die Küche und die Vorratskammern, für die sie verantwortlich war. Als sie in die Wohnräume kamen, ergriff Eva das Wort und erklärte Bärbe alles. Vor allem ihre Schlafkammer war ihr besonders wichtig. Sie war genauso eingerichtet, wie Eva es sich wünschte. Die Möbel aus Eichenholz hatte sie aus Frankfurt mitgebracht. Genauso das vierpfostige Bett, über das ein Baldachin aus sonnengelbem Stoff gespannt war. Gegenüber dem Bett stand eine Anrichte und darauf der venezianische Spiegel in einem kunstvoll geschnitzten Rahmen. Alles in diesem Zimmer strahlte Heiterkeit und sonnige Leichtigkeit aus. Eva fühlte sich oft an Florenz erinnert, wenn sie den Raum betrat.
«In meiner Schlafkammer sollte täglich das Bett gelüftet werden», instruierte Eva Bärbe. «Sobald Krümel und Flusen auf den Teppichen zu sehen sind, müssen sie geklopft werden und der Boden gescheuert. Die Borde und Schränke werden alle zwei Tage mit dem Staubwedel bearbeitet.»
Die Magd nickte und ließ ihren Blick durch die Kammer schweifen. Plötzlich ertönte aus ihrem Mund ein Schrei, der die Scheiben in den Fenstern klirren ließ.
«Gott im Himmel, was ist denn los?», fragte Eva erschrocken und zerrte die Magd am Ärmel.
Bärbe war leichenblass und hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Zwischen den gespreizten Fingern sah sie das eigene Spiegelbild.
Dann bekreuzigte sie sich rasch und stammelte: «Der Herr sagt: Du sollst dir kein Bild machen. Das da ist der Teufel.»
Eva lachte. «Unfug. Das ist ein Spiegel, nichts weiter. Er wirkt so ähnlich wie das Wasser in einem Brunnen. Du kannst dich darin sehen.»
Bärbe schüttelte den Kopf. «Teufelszeug ist es. Du sollst dir kein Bild machen. So steht es in den Geboten.»
«In den Geboten steht, dass du dir kein Bild von Gott machen sollst», widersprach Eva.
Wieder verneinte die Magd. Sie hatte den Kopf gesenkt.
«Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden ist, steht geschrieben», stieß sie stur hervor. «Wir sollen uns kein Bild von einem anderen Menschen machen. Was das Ding, welches Ihr Spiegel nennt, zeigt, ist Lästerung, ist Teufelszeug.»
Eva lachte. «Du bist ein dummes Ding, Bärbe. Ein Spiegel zeigt dich, wie du wirklich bist. Er zeigt dich von außen. So, wie dich die anderen sehen können. Er zeigt dein Gesicht, deinen Leib. Du kannst daran erkennen, ob das Haarband zu dir passt, das Kleid richtig sitzt. Der Spiegel lügt nicht, lästert nicht. Er spricht die Wahrheit.»
Jetzt ergriff auch Susanne das Wort: «Der Spiegel zeigt nur dein Äußeres, doch die Wahrheit liegt innen drin, in der Seele. Die aber kann der Spiegel nicht sehen. Der Spiegel zeigt nur ein Bild. Es sind die Menschen, die dich umgeben, die dein Inneres spiegeln.» Eva wunderte sich über Susannes kluge Worte. Manchmal unterschätzte sie die Stiefschwester. Doch die Magd war nicht umzustimmen. «Nein», widersprach Bärbe und schüttelte mehrmals den Kopf. «Nein. So ist es nicht. Gott hat die Menschen nach seinem Bild geschaffen. Der Spiegel schafft ein Bild vom Bild. Also ist er Teufelswerk.»
Am Abend betrachtete sich Eva im Spiegel. In ihrer Schlafkammer flackerten nur wenige Lichter. Der Kamin brannte in einer Ecke und verbreitete eine angenehme Wärme.
Eva stand vor dem Spiegel und blickte sich nachdenklich an.
Ihr Haar leuchtete im Feuerschein kupferrot auf und umschloss ihr Gesicht wie ein Schleier aus feinster Seide.
Sie nahm eine Strähne zwischen die Finger und roch daran. Der vertraute Duft der feinen Lavendelhaarseife, die noch aus Florenz stammte, ließ sie lächeln und ein wenig mutiger werden. Sie trat einen Schritt näher an den Spiegel, beugte ihr Gesicht so weit nach vorn, dass sie mit der Nase beinahe an das kalte Glas stieß.
Ein leiser Schauer lief über ihren Rücken. Noch nie zuvor war sie so mit sich allein gewesen. Sie fühlte sich beinahe wie eine Abenteuerin, die aufgebrochen war, neue Welten zu entdecken.
Eva sah sich in die Augen, und ihr war, als stünde eine Botschaft darin. Sie versuchte, sie zu entschlüsseln, beugte sich noch weiter vor, doch es gelang ihr nicht. Sie schrak vor sich zurück, konnte sich plötzlich selbst nicht mehr in die Augen sehen. Denn darin standen Antworten auf Fragen,
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